Samstag, 26. März 2011

Der verlorene Liebesbrief

Ein wunderbarer Morgen wie schon seit langem nicht mehr, kündigte sich bereits in aller Frühe an. Tiefblau, im Westen noch ins Dunkle verfärbt, der Nachthimmel, im Osten aber bereits ein wenig aufgehellt. Der volle Mond beleuchtete mit seinem hellen Licht den Kirchturm im Dorf gegenüber Tramhaltestelle. Die Sterne flackerten und glitzerten in der kalten, frisch duftenden Morgenluft, als wollten sie einen Freudentanz ob diesem wunderbaren Morgen aufführen. An der Haltestelle der Straßenbahn warteten zu dieser frühen Morgenstunde noch keine weiteren Fahrgäste, außer dem einen, der wie jeden Morgen um dieselbe Zeit auf die Einfahrt der Tram in die Stadt erwartete. Das hintere Chorfenster der Kirche war bereits beleuchtet und schimmerte rötlich aus dem in Blei gefassten, großen Bogenfenster. - Eigentlich zu schade, um zur Arbeit zu fahren - dachte sich der Mann. Der Dreiviertelstundenschlag aus dem Kirchturm unterbrach seine Gedanken kurz - in die Berge fahren oder an einen See wäre heute das Richtige -. Er dürfte so an die fünfzig sein, schlank, graumeliert, bekleidet mit Regenmantel und Hut. Von der Kehrschleife der Endstation vernahm man das Pfeifen und Quietschen der vielen Räder, also würde es nicht mehr lange dauern, bis die Tram in die Haltestelle einfahren würde.

Wie immer stieg er in den hintersten Wagen ein, um sich dann im hintersten Einzelsitz gemütlich zu machen. Da es draußen noch dunkel war, spiegelte sich die Leere des Tramwagens in den Fenstern. Das monotone Rattern der Räder in den Schienen wechselte sich ab mit dem schleifenden und quietschenden Bremsen kurz vor jeder Haltestelle. Je weiter sich die Trambahn der Stadt näherte, desto heller wurde es draußen und die Innenspiegelung des Wagens wurde schwächer. An den letzten beiden Haltestellen war niemand zugestiegen, so auch an den drei nächsten nicht. Erst jetzt bemerkte er, dass ganz vorne im Wagen noch jemand saß. Ein Mädchen oder eine junge Frau war es. - Ach ja -, dachte er sich, - genau, diese Frau habe ich schon oft gesehen, nicht jeden Tag, aber so zwei bis drei Mal die Woche. Eine zierliche, nicht ganz schlanke Person. Immer adrett gekleidet -. An der Haltestelle Bahnhof stieg sie aus. Nun kam leben in den Wagen. An der Haltestelle standen viele Menschen, die sich nun langsam ins Innere der Straßenbahn drängten. Im nu war der Wagen gefüllt und alle Sitzplätze vergeben. Einige der Fahrgäste mussten sich nun mit Stehplätzen zufrieden geben. Trotz der vielen Menschen war es still. Zum rattern der Räder kam das papierne Rascheln vom umlegen der Zeitungsseiten dazu. Ganz vorne unterhalten sich zwei Personen mit gedämpfter Stimme. Zwischenzeitlich war es draußen ganz hell geworden. Lange Schatten der Häuserzeilen auf der rechten Seite wechselten ab mit sonnenbeschienen Querstraßen. Nun war auch draußen das Leben erwacht, Velo fahrende Menschen, Fußgänger und Autos beherrschen das Straßenbild. An jeder Haltestelle war ein Aus- und Umsteigebetrieb, der rasch, aber nicht hektisch abzulaufen schien. - Noch den Rhein überqueren, dann muss auch ich aussteigen -, dachte sich der Mann und machte sich zum Aussteigen bereit. Während der Fahrt hatte er sich nochmals Unterlagen für die nächste Sitzung, die ihm gleich bevor stand, durchgelesen. Nun legte er diese zurück in seine Aktentasche und schloss diese zu. Noch bevor er aussteigen konnte, klopfte ihm jemand auf die rechte Schulter, streckte ihm einen weißen Briefumschlag zu und sagte „sie haben etwas verloren“. Nun, er bedankte sich verwundernd, nahm aber den Umschlag entgegen und verstaute ihn im Außenfach seiner Aktentasche.

Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen wehte ihm ein schwacher, kühler Wind entgegen. Er war froh, dass er aus dem stickigen Tram an die frische Luft wechseln konnte. Er genoss die Ruhe der Altstadt und schöpfte so noch ein wenig neue Energie aus dieser Ruhe und Stille. Amselgesänge klangen ihm aus den Vorgärten entgegen. Der Seiteneingang zum Kreuzgang vom Münster stand offen, also war in der Münsterbauhütte bereits jemand am Werkeln. Und in der Schmiede am Münsterberg war auch schön Licht. - Na, so bin ich ja nicht der Einzige, der an diesem frühen Morgen arbeiten muss - dachte er sich und gab sich diesem Schicksal hin.

Bis zur erste Sitzung dauerte es noch eine halbe Stunde. - Was war denn das nur für ein Briefumschlag? ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich einen solchen in meiner Aktentasche mit dabei hatte. Komisch - Nun, er holte ihn aus seiner Aktentasche hervor. Der Umschlag war unbeschriftet, aber nicht verschlossen. Im Innern fand er einen Brief vor, einen Brief, der nur einige wenige Worte in schöner Handschrift enthielt. Still begann er zu lesen. Ein lächeln überzog sein Gesicht. „Ja, ja, die Liebe. Ein verlorener Liebesbrief, der kaum angefangen, schon verloren ging. Ich hoffe, dass das kein schlechtes Ohmen ist. Wenn diese Liebe nur auch so lange anhält und so tief und innig ist wie die meinige“ sprach er lächelnd vor sich hin, „dann ist ja alles gut und schön“. Mit seiner Hand glättet es diesen begonnenen Brief und lächelte sinnierend weiter...

- Er freute sich auf jeden Brief seiner Liebsten, die fern seiner Heimat lebt. Ihre Liebe war damals wie heute gross und mächtig. Je länger sie getrennt waren, umso inniger und tiefer wurde diese Liebe. Wie viele Briefe sie sich schon geschrieben hatten; er konnte sie nicht mehr zählen. Wunderbare, poetische Briefe, einer schöner als der andere. Jeder für sich ein wunderbares Zeichen von tiefer Liebe und ewiger Verbundenheit.

Er holte aus seinem Pult ein weißes Blatt Papier hervor und begann zu schreiben.

Werte Unbekannte,

ich erlaube mir, ihnen für Ihre Liebe alles erdenklich Gute zu wünschen. Gehen Sie mit ihr behutsam um. Liebe ist das Wertvollste im Leben, das Menschen besitzen und erleben dürfen.

Mein Schatz hat mir einmal folgenden Satz in einem Liebesbrief zukommen lassen: „Heimat ist dort wo die Liebe wohnt, eben bei dir wo du bist und hier wo ich bin... in unseren Herzen“. Gerne möchte ich Ihnen diesen Satz mit auf den Weg geben, auf den Weg Ihrer Liebe. Diese wenigen Worte unterstrich er noch mit einer feinen Verzierung.-

...das klingelnde Telefon holte ihn aus seinen Gedanken und seinem begonnen Schreiben zurück in die Bürowirklichkeit. Er werde an der Sitzung vermisst, über- brachte ihm die Sekretärin. Der Liebesbrief lag immer noch geöffnet auf seinem Pult. Behutsam faltete er diesen, gemeinsam mit seinen wenigen Zeilen, zusammen und steckte beide in den Umschlag. Diesen liess er sodann ins Seitenfach seiner Aktentasche gleiten.

Tage später stieg er wieder am frühen Morgen zur gewohnten Zeit in den hintersten Tramwagen. Und tatsächlich, die junge Frau saß bereits ganz vorne auf ihrem gewohnten Sitzplatz. Bevor er sich auf seinem hintersten Einzelsitz gemütlich machte, ging er nach vorne zu dieser jungen Frau, und hielt ihr den weißen Briefumschlag entgegen. „Guten Morgen, haben sie letzthin diesen Brief im Tram verloren?“ Eine zarte Morgenröte stieg der Frau ins Gesicht. Sie blickte ein wenig verschämt zu Boden, dann wieder hoch zu ihm und nickte stumm. Er lächelte nur, „hier, nehmen sie ihn“. Schon war er weg, ganz hinten auf seinem Einzelsitz, machte es sich gemütlich und liess seinen Gedanken freien Lauf. Am Bahnhof, bevor die junge Frau ausstieg, kam sie mit verweinten Augen auf ihn zu und küsste ihn auf die rechte Backe. „Danke“ sagte sie lächelnd aber mit schwacher Stimme zu ihm, „vielen, vielen Dank“.

© Hans-Peter Zürcher

Sonntag, 20. März 2011


日本ではルマとすべての私の友人は

私は日本で感じる...



花の雨

無限の静寂の中で

慟哭

©ハンスピーターザーチャー

For Ruma and all my friends in Japan

I feel with you in Japan ...


Tears

Rain on flowers

In infinite silence

Tears of sorrow

© Hans-Peter Zürcher


Für Ruma und alle meine Freunde in Japan

Ich fühle mit Ihnen in Japan ...

Tränen

Regen auf Blumen

In unendliche Stille

Tränen der Trauer

© Hans-Peter Zürcher

Sonntag, 13. März 2011

Einsam

Ernst war schon immer ein Einzelgänger gewesen, schon als Kind. Obwohl er mit seinem kleinen Bruder im selben Kinderzimmer gewohnt hatte, fand es den Zugang zu ihm nicht. Er spielte alleine, saß verklärt auf dem Boden und führte sein rotes Blechauto belanglos über seine gedachten Strassen. Den Motor nachahmend blubberte es vor sich hin. „Komm, wir spielen Post“ wurde er etwa von seinem Bruder aufgefordert. „ Nein“ war seine lakonisch knappe Antwort. „Ja“, „nein“, „ich weiss nicht“, das war sein ganzer Wortschatz und das mit 5 Jahren. Im Kindergarten wurde er als aufgeweckter Bub, aber auch als Einzelgänger taxiert. Redete kaum oder gab nur eine knappe Antwort. Das änderte sich auch später in der Schule nicht. Er war fleißig, hatte gute Schulnoten im Zeugnis, aber auch Vermerke wie - Ernst träumt -, oder - Ernst ist ein Einzelgänger -. Lehrer und Eltern machten sich Gedanken, der Schulpsychologe meinte aber nur, „Ernst ist intelligent, gescheit, und der Rest kommt dann schon noch, er wird seinen Knopf sicher noch öffnen“. Auch sein Studium als Mathematiker schloss er mit Bravour ab und bekam schon bald mal eine Anstellung in einem großen Konzern.

Viele Jahre vergingen, Ernst lebte allein und zurückgezogen in einem schönen, ruhigen Quartier in der Stadt. Verließ morgens pünktlich seine Wohnung, ging zur Arbeit und kam abends ebenso regelmäßig und pünktlich wieder nach Hause. All seine Schul- und Studienkollegen waren bereits verheiratet, oder sie hatten eine Freundin. Nicht so Ernst, alleine, in sich zurückgezogen lebte er vor sich hin, macht seine Arbeit zur besten Zufriedenheit seines Vorgesetzten. Entsprechend seiner Einzelgängerart, wurde ihm denn auch die Arbeit zugeteilt. Diese Arbeit bestand darin, dass er komplexe Berechnungen von noch komplexeren Aufgaben lösen musste, eine Arbeit, die keinen Kontakt zu anderen Menschen erforderte. Kontakt zu seiner Familie pflegte er eben so minimal, wie seine Antworten immer waren. Wenn er etwas gefragt wurde, gab er nach wie vor nur ein knappes „ja“, „nein“ oder „ich weiss nicht“ zurück.

Ferien machte er zurückgezogen in seinem Reich, der kleinen Wohnung im ruhigen Quartier in der Stadt. Da er keine Freunde hatte, kam er auch nie Besuch in seine Wohnung. Der Familie verweigerte er durch seine Zurückgezogenheit ebenfalls den Zugang in seine Räume. Gegenüber seinen Mitbewohnern im Haus verhielt er sich eben so verhalten und zurückgezogen, dass die schon gar nicht merkten, dass in dieser Wohnung jemand lebte. Er war nie krank, kam immer pünktlich zur Arbeit und war seit nunmehr über dreissig Jahren so zuverlässig wie am ersten Arbeitstag.

Doch eines Tages geschah das unerklärliche, das keiner fassen konnte. Ernst erschien nicht zur Arbeit. Das machte seinen Vorgesetzten wohl stutzig. Er dachte sich aber im Moment nicht all zu viel, außer: - Ernst hat kein Telefon zu hause, war wohl krank geworden und wird sich dann morgen Früh schon melden, so zuverlässig er ja auch ist -. Als nach zwei Tagen immer noch nichts von ihm zu hören war, klingelte sein Vorgesetzter wieder an der Wohnungstür von Ernst, einmal, zweimal, doch niemand öffnete. Am nächsten Tag versuchte er es noch einmal, nichts, kein Laut, nur Stille. Nun öffnete er zusammen mit dem Hauswart die Wohnungstür. Stille und Dunkelheit strömte ihnen aus dem Wohnungseingang entgegen und ein süßlich-muffiger Geruch. Küche und Bad waren fein säuberlich aufgeräumt, Ordnung auch im Schlafzimmer, das Bett unterrührt. Sämtliche Läden und Fenster geschlossen und …im Wohnzimmer, auf dem Boden sitzend, in sich zusammengesunken fanden sie Ernst, tot, vor sich ein rotes Blechauto…

© Hans-Peter Zürcher