Donnerstag, 21. November 2013

Einsam


Einsam

Ernst war schon immer ein Einzelgänger gewesen, schon als Kind. Obwohl er mit seinem kleinen Bruder das Kinderzimmer teilte, fand er den Zugang zu ihm nicht. Er spielte alleine, saß verklärt auf dem Boden und führte sein rotes Blechauto belanglos über seine erdachten Strassen. Den Motor nachahmend blubberte es vor sich hin. „Komm, wir spielen Post“ wurde er etwa von seinem Bruder aufgefordert. „ Nein“ war seine lakonisch knappe Antwort. „Ja“, „nein“, „ich weiss nicht“, das war sein ganzer Wortschatz und das mit 5 Jahren. Im Kindergarten wurde er als aufgeweckter Bub, aber auch als Einzelgänger taxiert. Er redete kaum oder gab auf Fragen immer nur eine knappe Antwort. Das änderte sich auch später in der Schule nicht. Er war fleißig, hatte gute Schulnoten im Zeugnis, aber auch Vermerke wie „Ernst träumt“, oder  „Ernst ist ein Einzelgänger“. Lehrer und Eltern machten sich Gedanken, der Schulpsychologe jedoch meinte nur, „Ernst ist intelligent, gescheit, und der Rest kommt dann schon noch, er wird seinen Knopf sicher noch öffnen“. Auch sein Studium als Mathematiker schloss er mit Bravour ab und bekam eine Anstellung in einem großen Konzern.

Viele Jahre vergingen, Ernst lebte allein und zurückgezogen in einem schönen, ruhigen Quartier in der Stadt. Verließ morgens pünktlich seine Wohnung, ging zur Arbeit und kam abends ebenso regelmäßig und pünktlich wieder nach Hause. All seine Schul- und Studienkollegen waren bereits verheiratet, oder sie hatten eine Freundin. Nicht so Ernst, alleine, in sich zurückgezogen, lebte er vor sich hin, macht seine Arbeit zur besten Zufriedenheit seines Vorgesetzten. Entsprechend seiner Einzelgängerart, wurde ihm denn auch die Arbeit zugeteilt. Diese Arbeit bestand darin, dass er komplexe Berechnungen von noch komplexeren Aufgaben lösen musste, eine Arbeit, die keinen Kontakt zu anderen Menschen erforderte. Kontakt zu seiner Familie pflegte er eben so minimal, wie seine Antworten immer waren. Wenn er etwas gefragt wurde, gab er nach wie vor nur ein knappes „ja“, „nein“ oder „ich weiss nicht“ zurück.

Ferien machte er zurückgezogen in seinem Reich, der kleinen Wohnung im ruhigen Quartier in der Stadt. Da er keine Freunde hatte, bekam er auch nie Besuch in seine Wohnung. Der Familie verweigerte er durch seine Zurückgezogenheit ebenfalls den Zugang zu seinem Reich. Gegenüber seinen Mitbewohnern im Haus verhielt er sich eben so verhalten und zurückgezogen, dass die schon gar nicht merkten, dass in dieser Wohnung jemand lebte. Er war nie krank, kam immer pünktlich zur Arbeit und war seit nunmehr über dreissig Jahren so zuverlässig wie am ersten Arbeitstag.

Es war in der Vorweihnachtszeit. In der Stadt herrschte geschäftiges Treiben. Dies liess Ernst genau so unberührt wie eigentlich alles um ihn herum auch. Doch Am Montag nach dem 2. Adventsonntag geschah das unerklärliche, das keiner fassen konnte. Ernst erschien nicht zur Arbeit. Dies machte seinen Vorgesetzten etwas nachdenklich, er konnte sich jedoch im Moment keinen Reim daraus machen. -Er dachte sich nur: - Ernst hat kein Telefon zu Hause, ist wohl krank geworden und wird sich dann morgen in der Früh schon bei mir melden, so pünktlich und korrekt wie er immer ist -. Doch am anderen Tag kam kein Telefonanruf vom Ernst. Als nach zwei Tagen immer noch nichts von ihm zu hören war, wunderte man sich in der Firma und war gleichzeitig auch ein wenig in Sorge. Auch von seinen Arbeitskollegen konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.  So beschloss sein Vorgesetzter, am Montag nach dem 3. Adventsonntag, ihm einen Besuch abzustatten.  Er  klingelte an der Wohnungstür von Ernst, einmal, zweimal und noch ein drittes mal, doch niemand öffnete. Am nächsten Tag versuchte er es noch einmal. Nichts, kein Laut, nur Stille. So beschloss er, den Hausdienst zu alarmieren und  mit diesem zusammen die Wohnungstür zu öffnen. Stille und Dunkelheit strömte ihnen aus der Wohnung entgegen und ein süßlich-muffiger Geruch. Küche und Bad waren fein säuberlich aufgeräumt, Ordnung auch im Schlafzimmer, das Bett unterrührt. Sämtliche Läden und Fenster geschlossen, nur aus dem Wohnzimmer konnte ein schwacher Lichtschimmer wahrgenommen werden.

Auf dem Stubentisch im Wohnzimmer stand ein Adventskranz, an dem eine von vier elektrischen Kerzen ein schwaches, trostloses Licht von sich gab und auf dem Boden sitzend, in sich zusammen gesunken fanden sie den Ernst, tot, vor sich ein rotes Blechauto…

© Hans-Peter Zürcher

Dienstag, 18. Juni 2013


Stumme Minuten

Der Zugabteil ist noch fast leer an diesem frühen Herbstmorgen, was mir nur recht ist, so kann ich die Eisenbahnfahrt alleine und in Ruhe geniessen.

Auf dem gegenüberliegenden Geleise fährt ein Zug ein. Die schwere Lock schiebt ein Rumpeln und Vibrieren vor sich hin, führt aber in ihrem Schlepp schwere Wagen mit vielen, gefüllt mit vielen Reisenden. Menschenschlangen stehen im Zwischengang, bereit zum Aussteigen. Jeder möchte der Erste sein, eine menschliche Angewohnheit. So zieht dann draußen auf dem Perron es eine grosse Menge Menschen in Richtung Ausgang. Dazwischen unzählige  Menschen, die zum Einsteigen in den eben eingefahrenen Zug bereit stehen. Umarmungen und Küsse, Tränen und Lächeln von Wegreisenden. Winken und Rufen, Umarmen und Küssen von Ankommenden. Durchsagen dringen in Wortfetzen in meinen Zugabteil. Ein Kommen und Gehen draußen auf dem Perron, Ruhe hier im Wagen. Nur ab und an das Rascheln einer Zeitung, die umgeblättert wird.

Doch die angenehm dumpfe Ruhe im Abteil wird kurz vor der Abfahrt jäh durch eine ausgelassenes Treiben einer Schulklasse unterbrochen. Lachend und schwatzend, voller Übermut stürzen die Kinder in munterem durcheinander ihren Wunschsitzplätzen im Wagen zu. In dieses überhitzte Treiben, das voller Freude über ihren Schulausflug entsteht, mischt sich nun das metallische, rhythmische Fahrgeräusch des anfahrenden Zuges. Ein leichtes hin und her Wiegen über Weichen und Kreuzungen, das sich allmählich in ein ruhiges, gleichmassig dumpfes Rattern auflöst. Draußen flitzen in rascher Abfolge Fahrleitungsmaste, nahe stehende Bäume und Häuser vorbei. In dessen sich die Hügel, Wälder und Häusergruppen in der Ferne nur langsam aus dem Blickfeld meines Fensters entfernen.  Meine Gedanken folgen meinen Blicken, die sich in die vorüber ziehende Landschaft verlieren.  

Die Schüler scheinen sich beruhigt zu haben, ab und zu dringen einige Wortfetzen oder Lacher an mein Ohr. Die Zeit zog dahin wie die Landschaft vor meinen Augen. Die Zeit, das unbekannte Wesen. So notier ich dann meine Gedanken in mein kleines, schwarzes Notizbüchlein, das ich stets in meiner Jackentasche mitführe:

- Die Wahrheit steckt im Kleinen, die Zeit schreitet unaufhörlich in die Weite des Universums und wir folgen ihr.

Die Zeit ist unabdingbar, die Wahrheit auch, das Echo kommt aus dem Universum. Wenn wir dort angelangt sind, wissen wir mehr, mehr über die Zeit und deren Wahrheit. Unsere Seele wird sich in die Unendlichkeit verlieren...

...und wir mit ihr. -

Der gleichmäßige, monotone Gesang der rollenden Räder wird nun durch ein sanftes hin und her Wiegen abgelöst. Weichen und Kreuzungen werden wie im Flug überfahren. Der hohle Klang einer Flussbrücke, dann wieder das Rattern und Rumpeln über Schienenstränge die kreuzen, verzweigen und zusammenführen. Der Zug wird langsamer. Parallel zu uns fährt ebenfalls ein Zug dem Bahnhof entgegen, mal ein wenig schneller als wir, dann aber wieder langsamer. Menschen schauen sich gegenseitig an, die einen lächeln oder schicken ein freundliches Nicken herüber, andere blicken starr und bewegungslos ins Nichts. Da winkt ein freudestrahlendes Kind, das seine Nase an der Fensterscheibe platt drückt. Dann trennen sich die beiden Züge wieder, um auf verschiednen Perrons in den Bahnhof einzufahren. 

Während dieser Einfahrt sind auch die Schüler wieder lauter geworden und drängeln dem Ausgang zu. Erwartungsvoll und neugierig, wie ihre Reise wohl nun weitergehen wird. Draußen auf dem Bahnsteig stehen nur wenig Menschen, einige schauen angespannt in die Fenster des einfahrenden Zuges, halten ausschaue, ob Die, die sie erwarten wohl auch mit dabei sind. Lautsprecherdurchsagen dröhnen mit einem kalten Echo aus der großen Bahnhofhalle, Bremsen quietschen und mit einem kurzen, aber heftigen Ruck steht der Zug still. Das muntere Durcheinander der Schüler verklingt und eine fast unheimliche Ruhe macht sich hier im Wagen breit.

Die Hoffnung, dass sich im gegenüberliegenden Abteil wiederum niemand niederlässt verblasst. Noch während sich nun der Zug wieder langsam in Bewegung setzt, macht es sich ein jüngeres Paar in den Sitzbänken im Nebenabteil bequem. Ihr weniges Reisegepäck ist schnell verstaut. Ruhig und ohne Worte sitzen sie sich gegenüber, beide ihren Blick hinaus in die vorüber ziehende Landschaft gerichtet. Er das Kommende sehend, sie das Vergangene. Stumme Minuten verfließen so zu einer stummen Stunde. Ab und zu kreuzen sich ihre Blick, ein schwaches Lächeln huscht über ihre Gesichter, das aber so schnell wie es gekommen war, wieder verschwindet und einem gleichgültigen Gesichtsausdruck platz macht. Ihre Augen suchen wieder das Weite in der Landschaft. Was mag in ihren Köpfen wohl vor sich gehen? Er das Kommende sehend, sie das Vergangene.

Auch ich lass wieder meinen Blick in die Ferne schweift, meinen Gedanken freien Lauf gewähren. So zücke ich erneut mein Notizbüchlein und schreibe:

- Der Herbst ist die Blüte des Sommers, entstanden aus einer erwärmenden Liebschaft aus Winter und Frühling. Denn ohne diese würde dem Herbst der goldene Glanz fehlen. -

Und genau so ist es auch jetzt, die Farben der überschwänglichen Blättervielfalt der Bäume sind großartig. Da und dort in den Rebhängen werden noch Trauben gelesen, obwohl es schon gegen Ende Oktober geht. Während über dem Fluss, der nun eine Zeit lang uns begleitet, ein Hauch von Dunst sich breit macht, erstrahlt aus dem tiefem blau des Himmels die wärmende Sonne. So lasse ich mich hinter der Fensterscheibe von ihr sehr gerne ein wenig verwöhnen, während dessen uns der gleichmäßige, monotone Gesang der rollenden Räder begleitet.

Das Paar im gegenüber liegenden Abteil schweigt sich immer noch aus. Aus stummen Stunden werden wieder weitere stumme Minuten, während er das Kommende sieht und sie das Vergangene...

© Hans-Peter Zürcher    

Samstag, 10. November 2012


Müde
  
Ein neuer Morgen bricht leise an, zeigt sich aber eher von seiner düsteren Seite. Kühl und mit Hochnebel, in dessen spärlichen, lichten Stellen sich immerhin ein wenig Blau erahnen lässt. So präsentiert sich der Himmel über einer düsteren, müde wirkenden Landschaft. Ein Duft von kühler Feuchte und welken Blättern, die still und in loser Folge vom einen oder anderen Baum zu Boden schweben, liegt in der Luft. Die Bäume und Blumen, die Wiesen und Wälder haben auch in diesen Sommer wieder alles gegeben, was sie uns zu bieten hatten. Vom Spriessen der ersten Blätter an den Bäumen im Frühling, über eine reichliche Blütenpracht bis hin zum ersten, sachten Verfärben ihrer Blätter. Nochmals zeigen sich die Blumen in all ihren herbstlichen Farben und Pracht. Nochmals glänzen die letzten reifen Früchte des Spätsommers an den Ästen der Bäume. Nochmals verleihen die Bäume ihren Ästen eine großartige Farbenvielfalt.

Aus der Stille der Nacht erwacht dieser neuer Morgen ins erste Tageslicht, gleich einem Falter, der aus seiner Verpuppung schlüpft. Erwacht in einen Tag, der bereits ein wenig nach dem kommenden Herbst duftet. Ein leiser Zauber, entstanden durch feinste Bodennebelchen, die sich zärtlich um Pflanzen schlängelt und diese mit tausenden kleinster Tautröpfchen segnet, verleiht der Landschaft etwas märchenhaftes.

Der Hochnebel beginnt sich im ersten Sonnlicht sachte aufzulösen, in einzelne Fetzen zu zersetzen, um sich dann wieder mit anderen gleichgesinnten zu neuen Schwaden zu verweben. Ein wogendes auf und ab, ein hin und her, gleiche einer Meeresbrandung, ein spannendes Spiel mit Höhenwind und Thermik. Im Gegensatz zu hier unten auf der Erde ist keine Spur von Müdigkeit auszumachen, im Gegenteil, ein munteres Treiben, zu dem sich nun auch noch ein Krähenvolk aus dem nahen Feld einzulassen scheint. Sie spielen mit lautstarkem Gekreische ihr Spiel mit dem  den Gezeiten am Himmel. 

Die herbstlich milde Sonne scheint noch nicht müde zu sein, sie setzt sich aber beharrlich durch. Nicht mehr mit der gleichen Kraft wie im Sommer, aber immer noch recht warm. Die letzten hartnäckigen Nebelschwaden lösen sich auf und geben nun so den Blick auf weiße Kaltluftwölkchen frei, die am klaren Himmel wie kleine Schiffchen übers blaue Meer dahin ziehen. Die abertausend Tautröpfchen auf Wiesen und Blättern beginnen zu Glitzern, als wären es die Sterne der Nacht.

Die wärmende Sonne verleiht nun auch der Landschaft neuen Glanz und neue Düfte. In einen milden, zarten Hauch gehüllt schweben sie als Duftwölkchen daher, vermischen sich mit dem Duft der Morgenfeuchte zu einem ganzen, würzigen Etwas, das nach Herbst riecht, nach Müdigkeit, aber auch nach Gelassenheit und Reife. Nimmermüde Bienenvölker summen und brummen den letzten Blumen entgegn, um vom letzten süßen Tau zu naschen- Letzte Schmetterlinge tun es ihnen gleich. Spielend flattern sie von Blume zu Blume, gefolgt von Libellen, die angelockt von taufeuchten Wiesen gleich kleiner Helikopter über dieselben schweben. Ein zweiter Frühling scheint ausgebrochen zu sein, ausgereift und erwachsen geworden, Licht- und Dufterfüllt, aber keine Spur von Müdigkeit...

Oder etwa doch? Ein welkes Blatt schwebt wieder leise zu Boden und da noch eins...

© Hans-Peter Zürcher

Mittwoch, 4. Juli 2012


Ein stürmischer Augenblick

Schon den ganzen Tag blies ein stürmischer Wind. Die Wolken am Himmel schienen sich zu jagen, mal mächtig und dunkel, mal weißlich sich aufplusternd. Zwischendurch immer wieder scheue Blicke der Sonne, die jede noch kleine Lücke ausnutzt um uns einen milden Kuss zu verabreichen. Für mehr reichte es jeweils nicht. Ein wildes Spiel, das Bilder am Himmel projiziert, aber auch über die Hausdächer und an den Giebelwänden der Stadt ihr vergängliches Spiel mit Licht und Schatten zauberte. Die Luft draußen war sehr warm, eigentlich viel zu warm für den Mai. Der Wind und die spärlichen Sonnenstrahlen genügten aber, die Luft noch mehr aufzuheizen. Das offene Fenster in meinem kleinen Büro schlug ab und an, denn der freche Wind trieb auch sein Spiel mit ihm, ja er getraute sich sogar, und dies ungebeten, in mein Kämmerchen einzutreten, um dann ganz verschämt und mit Geheul durch den Türspalt sich ins Haus zu verlieren.

Im nahe gelegenen Gymnasium schien gerade Pause zu sein, eine Schar übermütige Mädchen stürmte dem Wind gleich den Münsterberg hinunter. Sie scheinen sich zu necken, lachten und schrien und verloren sich rasch in der Stadt. Zurück blieben nur das Geräusch des Windes, sein Geheul und die Freude, dass ich bald mal Feierabend machen konnte, umso mehr dieser Arbeitstag dem stürmischen Aprilwetter im Mai glich.

Meinen Kopf nach vorne geneigt, den Hut streng ins Gesicht gezogen, versuchte ich den Windböen zu trotzen und war dann sehr froh, endlich im Tram sitzen zu können, ohne dass ich mich ständig um meinen Hut bangen musste. Denn der Wind versuchte tatsächlich, mir diesen vom Kopf zu reißen, nur, ich war schneller und konnte ihn jeweils gerade noch festhalten.

Das Tram war an diesem späten Dienstagnachmittag recht gut besetzt. Das war gut so, denn so war es mir möglich Fahrgäste zu beobachten und zu studieren. Menschen unterschiedlicher Herkunft steigen aus, neue stetigen wieder zu. Ein beständiges Kommen und Gehen, genau so wie der Wind draußen. Schwatzend, lesend oder einfach nur aus den Festern schauend werden all die Passagiere durch die Stadt gefahren, von Haltestelle zu Haltestelle, von der einen Seite der Stadt zur anderen.

Sehr rasch fiel mir schräg gegenüber ein recht hübsches Mädchen auf, das ganz in sich vertieft mit ihrem Handy spielte und mit gekonnter Präzision und Geschwindigkeit SMS einzutippen schien. Immer wieder kurz unterbrechend schaute sie zum Fenster hinaus, träumend und in Gedanken verloren, ja, genau so sah es aus. Jede neu ankommende Nachricht trieb ihr immer wieder eine zarte Röte über ihre jugendlichen Wangen, brachten ihre schönen braunen Augen zum leuchten. Ab und zu huschte ein lächeln über ihr Gesicht, das mich an das Schattenspiel der Wolken auf den Dächern und Giebelwänden erinnerte. Die Aufregung in ihr schien sich ins Unermessliche zu steigern. Ich verlor das Gefühl für die Zeit wie auch für die Tramstationen, unablässig beobachtete ich dieses Mädchen.

Plötzlich schien sie die Geduld mit diesem Schreibspiel verloren zu haben, tippte hastig etwas ein und führte ihr Handy an ihr linkes Ohr: „hey du, ich bin jetzt an der Mustermesse.... ja ich hab dich auch sehr lieb... “, wieder schoss ihr diese zarte Röte ins Gesicht, machte dieses Mädchen noch hübscher dadurch, noch schöner „wo bist du?... am Bad. Bahnhof?... jetzt bin ich an der Gewerbeschule vorbei... ja steige da aus... ja, ich bin auch gleich dort“. Beim einfahren in die Haltestelle schaute ich gespannt zum Fenster hinaus, - ob ich wohl ihren Schatz erkennen kann im Gewimmel der vielen wartenden Fahrgäste? -.

Inzwischen hat sich das Mädchen an die Türe gestellt, schaute nach draußen in die Menge, die eine Hand an die Scheibe gelegt, mit der anderen Hand hielt sie sich an der Haltestange fest und bewegte ihren Kopf nahe der Fensterscheibe beständig hin und her. Erleichterung schien ihren Körper zu durchströmen, sie winkte kurz und heftig, tänzelte vor Aufregung wie ein Zirkuspferdchen. Ja, jetzt sah ich ihn auch, er winkte wie wild zurück, warf ihr Kusshände zu. Ein ebenso schöner Jüngling, ja, passt wunderbar zu diesem hübschen Mädchen. Die Türe war noch nicht ganz offen, schon stürmte das Mädchen wie ein Wirbelwind aus dem Tram in die Arme ihres Freundes, ja, ihr Freund musste es sein, denn so wie die beiden sich nun küssten und umarmten, ja, stürmischer ging es wirklich nicht.

© Hans-Peter Zürcher  

Mittwoch, 20. Juni 2012


Ein Frühsommertag

Eine regenreiche Nacht tümpelt sich in einen eher düster anmutenden Morgen.  Nur vereinzelt sind Amselgesänge wahrzunehmen. Aber die Krähen, ja, die waren voll in ihrem Element. Mit ihrem krää-krää-krää, das Überlaut in die Stille des erwachenden Morgen hinein lärmt, meinen sie wohl, die Welt aus ihrem schlaf wecken zu müssen. Nur zögernd beginnt der neue Tag zu lichten. Vom Vordach tropft unregelmäßig, aber dennoch stetig Regenwasser.

Auch wenn kein Erwachen mit Vogelgesang einem in den neuen Tag verführt, ist es dennoch ein angenehmes Gefühl, sich mit einer solchen Stimmung in den Tag zu bewegen. Denn langsam mit dem werdenden Morgenlicht können vereinzelte schwache Momente von leisem Blau im Wolkenmeer ausgemacht werden. An Blumen und Sträuchern, an Blättern und an noch kahlen Ästen glitzern tausende kleiner Regentropfen. Jeder für sich in Größe, Form und Farbe ein Unikat...

Gestern, da war es noch völlig anders. Blauer Himmel und Sonne wohin man schaute. Doch was war denn das? eine kleine Wolke, frech und flink, ließ für nur kurze Zeit die Sonne verdunkeln und wie aus heiterem Himmel rauschte ein heftiger Regenschauer nieder. Noch während dieser sich rauschend und zischend über Bäume und Wiese ergoss, zeigte sich bereits wieder die Sonne mit ihrem gleißenden Licht. Als ob ein dampfender Wasserfall sich über die Landschaft ergoss, durch den sich  Äste und Blätter in schönstem Licht räkelten. Ein fantastisches Bild, das nur sehr kurz von seiner Poesie lebte.  Dann spielten Licht und Schatten ihr Spiel, begleitet vom Summen und Brummen, vom Singen und Jubilieren. Die Natur spielte ihr Spiel, ihre Reize und ihre Sinne aus.

...Diese Herrlichkeit ist nur von kurzer Dauer. Denn schon bald verliert sich dieser leuchtende Glanz in ein tristes Grau eines Regentags. Kein Summen und Brummen der Bienen über dem Lavendelstrauch, kein Singen und Trällern von Amsel und Mönchsgrasmücke. Dafür das monotone Tropfen von Regenwasser vom Vordach in eine dumpf vor sich hinstarrende Pfütze.  Hoch oben in der dampfenden Frühsommernässe durchbrechen die heiseren Schreie von Krähen die Regen- und  Tropfgeräusche dieses Tages, der sich wohl wieder in eine regenreiche Nacht entflieht.

© Hans-Peter Zürcher

Donnerstag, 3. Mai 2012



 Weg der Tugend

„Wohin des Weges?“ ein wenig aufgeschreckt aus seinen tiefen Gedanken sieht ein junger Wanderbursche einen alten, ergrauten Mann am Wegesrand sitzen. „Ach“ antwortete der junge Wanderbursche, „ich wandere auf dem Pfad der Tugend“. „Das ist sehr weise von dir“, der Alte machte eine kurze Pause, „weißt du, wer keine innere Haltung besitzt, kann diesen Weg nicht beschreiten. Er ist nicht immer einfach zu begehen, ab und zu kann er auch sehr beschwerlich sein“. „Ja, das hast du vollkommen recht. Weißt du, ich durfte auf meinem Weg bereits zwei Tugenden kenne lernen. Der Glaube und die Liebe. Die Hoffnung ist die dritte Tugend, die ich noch erlernen möchte. So einfach das Wort Hoffnung auch klingt, es ist gar nicht so einfach, diese zu erlangen“. „Oh“ antwortete der Alte, „das ist wahrlich so. Die Hoffnung ist eine zuversichtliche innerliche Ausrichtung gepaart mit einer positiven Erwartungshaltung, dass etwas Wünschenswertes in der Zukunft eintritt, ohne dass eine wirkliche Gewissheit darüber besteht. Und genau im Letzteren liegt die Erschwernis, diese Tugend zu erlernen“. Er machte wiederum eine Pause, betrachtete den Jüngling und lächelt. „Schau“, redet er weiter, „du hast den Glauben gefunden und auch die Liebe kennengelernt, also wird es dir leicht fallen, auch der Hoffnung zu begegnen“. Nun lächelt der Jüngling zurück, ein strahlen und leuchten erhellt seine Augen. „Oh ja, jemand hat mir einmal gesagt, dass Glaube und Liebe getragen werden von Hoffnung“. „Genau so ist es mein junger Freund, Glaube beruht auf Willen und ist absolute Wahrheit und die ist wiederum dem Glaubensinhalt unterstellt. Glaube unterscheidet sich aber von Wissen. Er beruht auf Vermutung, welche die Wahrheit des vermuteten Sachverhalts wohl annimmt, aber gleichzeitig vieles offen lässt, was sich letztendlich als Tatsache oder Erkenntnis widerlegt. Somit wandelt sich Glauben zu wissen“. Nach einer kurzen Pause fährt es fort, „Glauben kann aber auch die Bedeutung haben, jemandem zu vertrauen“. „Dann ist es also so, dass Hoffnung uns Menschen positiv stimmen, kann in die Endlichkeit unserer Existenz“ antwortet der Jüngling in etwas fragender, aber doch bestimmender Haltung. „Ja, genau, mein junger Freund, genau so wie die die Liebe, die du ja ach bereits kennengelernt hat“. Er lächelt dem Jüngling verschnitzt zu. „Ja, sicher“ antwortet der junge Bursche, „ ich habe erfahren dürfen, und das schon als Kind, dass die Liebe mit schönen Gefühlen und innerer Wärme verbunden ist. Eine starke Zuneigung, das Lebewesen zu empfinden fähig macht. Es entstehen mächtige Gefühle, eine innere Haltung positiver und inniger Verbundenheit“.

Der Alte steht auf, legt seinen Arm über die Schulter des Jungen und geht so einige wenige Schritte mit ihm des Weges. Dann bleiben sie stehen, „siehst du, so wenig braucht es, und du erlangtest die Grundwerte der Tugend. Ja, du hast diesen wichtigen Weg auf dich genommen und das ist auch recht so. Denn Tugend ist ja nichts anderes als Besitz einer positiven Eigenschaft. Nämlich eine Fähigkeit, die innere Haltung und das Gute mit innerer Neigung zu verbinden. Dieses Teilstück deines Lebensweges hast du nun erfolgreich hinter dich gebracht und bist bereit, den Weg der Weisheit zu begehen. Über den Weg der Tugend zum Baum der Erkenntnis“...

© Hans-Peter Zürcher

Montag, 23. April 2012


Abschied

Die Eintönigkeit der Bahnfahrt wird an jeder Haltestelle, die kurz zuvor ausgerufen wird, für kurze Zeit unterbrochen. Ob wohl der Zug gut besetzt ist, herrscht Ruhe und eine eher eintönige Stimmung. Einige Passagiere haben keinen Sitzplatz und stehen draußen vor dem Abteil. Die meisten der Fahrgäste hören über ihre mp3 – Spieler Musik, spielen mit ihrem Handy oder sind in eine Zeitung oder in ein Buch vertieft. Andere wiederum dösen müde von der Arbeit vor sich hin. Ich genieße die Ruhe im Eisenbahnwagen, aber ein wenig geplaudert hätte ich schon sehr gern.

Nun, so beobachte ich dann die einzelnen Fahrgäste. Die. die schon länger im Zug saßen, kannte ich nun schon einiger maßen gut, so meinte ich wenigstens. Im Abteil mir schräg gegenüber sitzen zwei junge Frauen. Auch sie sind jede für sich mit Musik und etwas lesbarem beschäftigt. Kommunikation scheint heute nicht mehr gefragt zu sein, alle wollen nur noch für sich alleine sein. Keine Gespräche, kein Lächeln, nichts, alle sitzen da, alle mit einem gleichartigen, versteinerten Gesichtsausdruck.

Auf der linken Seite kann man zwischen den Häuserreihen und Baumalleen ab und zu den Bodensee mit dem nahen, gegenüberliegenden Schweizer Ufer erkenne. Der Himmel ist bedeckt, doch eine wunderbare Weitsicht ist dank dem Föhn vorhanden. Das eintönige Rumpeln und Wiegeln des Eisenbahnzuges wird jeweils kürz vor der Einfahrt in einen Bahnhof durch ein hüpfendes dädedämm-dädedämm-dädedämm, das einen metallischen Nachklang in sich hat, unterbrochen.

So auch eben gerade jetzt. Aus dem Lautsprecher erklingt eine unpersönliche sterile Durchsage, die im Rattern beim überfahren der Weiche beinah untergeht: “Radolfzell, bitte benutzen sie zum Aussteigen den Ausgang auf der linken Seite„. Die Bremsen quietschen, der Zug hält an. Im Wagen entsteht geschäftiges treiben, einige Passagiere steigen aus, die, die bis an hin draußen vor dem Abteil gestanden haben, suchen nun nach einem freien Platz.

Draußen auf dem Fahrsteig steht eng umschlungenes ein sich heftig küssendes Liebespaar. Er löst sich zart und sachte aus der Umarmung und möchte einsteigen, kann aber nicht loslassen. Sie umarmen sich erneut heftig und innig. Sie lösen sich wieder voneinander, schauen hoch zu Bahnhofsuhr, beide Tränen in den Augen. Ein letztes Umarmen, zwei, drei Worte, ein Kuss, einletzter Händedruck, dann entgleitet der Mann aus den Händen seiner Geliebten und eilt dem Eingang zu. Völlig verweint steht sie nun suchen da und schaut aufgeregt, in welches Abteil ihr Geliebter nun einsteigen würde.

Er kommt in unser Wagenabteil, hastig eine Träne abwischend und setzt sich mir schräg gegenüber zu den beiden jungen Frauen. Die beiden Liebenden werfen sich nun beständig und beherzt Kusshände zu und versuchen, trotz ihres sichtlich großen Trennungsschmerzes zu lächeln. Langsam beginnt sich der Zug in Bewegung zu setzten. Der Mann stützt sich mit der einen Hand am Fenster ab, mit der anderen Hand schickt er seiner Geliebten nochmals einen letzten Kuss zu und sinkt dann sichtlich traurig zurück in seinen Sessel. Seine Hände auf dem Mitteltischchen übereinander gelegt sitzt er nun in Gedanken versunken da. Ein Strom von leisen Tränen rinnt über sein Gesicht. Er scheint nicht bemerkt zu haben, dass die junge Frau, die ihm gegenüber sitzt, ihn mit großen Augen beobachtet. Sie hatte, wie ich auch, diese berührende Abschiedsszene bereits auf dem Bahnsteig beobachtet. Und nun geschah etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte. Sie legt ihre Ohrhörer weg, stellt den mp3 – Spieler ab und legt ihre Hand auf die Hände von ihrem ihr gegenüber sitzenden, fremden Mann. Mit der Anderen reicht sie ihm ein Taschentuch und lächelt ihn verständnisvoll an. Sie scheint selbst von diesem Abschied berührt zu sein.

Dädedämm-dädedämm-dädedämm, der Zug rattert über die letzten Weichen von Radolfzell, draußen flitzen Bäume, und Häuser vorbei, ein letztes Aufblitzen des Bodensee, dann eine immer düsterer werdende Landschaft mit Wald und Feldern, eine Landschaft, die langsam beginnt einzudunkeln. Mir eintönigem Rumpeln entflieht im Eilzugtempo der Nacht entgegen, dädedämm-dädedämm-dädedämm...

© Hans-Peter Zürcher

Freitag, 6. April 2012


Frohe Ostern

Nun hoppeln sie wieder, die vielen Osterhasen aus Schokolade, rotem Zucker, Marzipan und Nugat. Auch alles andere, was sonst noch so für dieses Fest verkauft werden kann, stapelt sich auf Ladentischen und in Regalen in Unmengen. Eier in jeglicher Art und Form aus Schokolade, Pappe, Holz oder der gleichen. Aber auch  Parfüm, Schmuck, Dekorationsgegenstände von Rustikal bis Edelkitsch für die Erwachsenen und Spielsachen für die Kinder. Die Geschenke von Weihnachten sind ausgepackt, umgetauscht und längst vergessen. Deshalb ist es äußerst wichtig, dass wieder Neues unter die Menschen gebracht wird. Auch ess- und trinkbares in rauen Mengen wird unter das Volk gebracht, denn die Fastenzeit ist ja zum Glück nun vorüber. Die Osterfeiertage sind wie die Weihnachtsfeiertage, nichts anderes mehr als Umsatz fördernde Geschäftsfeiertage. Und die sind ja dringend notwendig um der Wirtschaft willen.

Die Schaufenster und Regale in den Verkaufsgeschäften sind schon seit geraumer Zeit, nämlich bereits ab Mitte Februar zum Einstimmen auf dieses Fest dekoriert und gefüllt. Nach dem Motto: "denn süßer die Kassen klingeln", werden fleißig Osterhasen und andere Süßigkeiten eingekauft und vernascht, bis sich dann eine Sättigung bei Groß und Klein bemerkbar macht. So wird dann drei Wochen vor dem Fest mit großzügigen Rabatten auf das ganze Schleckarsenal der Verkauf nochmals tüchtig angekurbelt. Und was nicht verkauft werden kann, wird dann nach Ostern zum halben Preis verscherbelt. Auf Ostern kann dann auch noch vieles andere geschenkt werden, auch solches wird schon seit Wochen versucht an Mann, Frau und Kind zu bringen. Autos, Unterhaltungselektronik, Schmuck, Parfum, Spielsachen jeglicher Art, auch kleine, niedliche Haustiere sind gefragt. Diese kann man denn vor den großen Sommerferien einfach irgendwo aussetzen, also kein Problem.

Und dann endlich geht es los. Einige Tage vor dem Fest fährt man voll gepackt mit all den eingekauften Herrlichkeiten gegen Süden, erst Stundenlang im Stau, nachher in überfüllten Städten und Dörfern. Dies alles ist wunderschön, man ist umgeben von lauter Gleichgesinnten. Nun kann man endlich zwei Wochen Osterurlaub vom feinsten geniessen, anstehen beim Mittagsbuffet, anstehen an den Bergbahnen und an den Skiliften, anstehen für eine freie Sitzbank am Lago Maggiore oder am Lago di Lugano. Aber was soll’s, man hat ja Urlaub. An den Verkehrslärm hat sich ja unser Gehör auch schon längst gewohnt, denn den hat mancher ja zu Hause auch, nur nicht in einer solch schönen Umgebung. Und die Schlafgelegenheiten in den überbuchten Hotels, auch dies ist kein Problem, es kann ja im Schichtbetrieb geschlafen werden, wenn die einen am Feiern sind, können die anderen schlafen und umgekehrt. Es heißt ja: - frohe Osten - ... also, wird gefeiert was das Zeugs hält!

© Hans-Peter Zürcher

Sonntag, 1. April 2012


Leben

oder wie wenig es dazu braucht...

Ein Essay

Wenn man das Glück erfahren darf, in der freien Wildbahn Tiere zu beobachten, sich in freier Natur zu bewegen, dann ist das ein großes Geschenk.

Wir Menschen sind ein Teil dieser Welt, genau so wie Tiere und Pflanzen, wie auch die ganze Natur. Wenn wir das Recht und das Glück haben, hier Gast zu sein, hier verweilen zu dürfen, so haben das die Tiere und die Pflanzen auch. Oberstes Gebot ist es, dieses Gastrecht zu respektieren. Einem Gastgeber fügt man keinen Schaden zu, auch seinem Lebensumfeld nicht. Einem Gastgeber begegnet man mit Respekt und Anstand. Einem Gastgeber schenkt man Wertschätzung und Ehre. 

Leider ist es aber so, dass der Mensch nicht versteht, nicht verstehen will, dass er nur Gast auf dieser Welt ist. Er akzeptiert das Gastrecht nicht und widersetzt sich allen Regeln der Ehrfurcht und des Anstands gegenüber allem Leben auf dieser Welt und letztendlich auch vor sich selbst.

Wenn sich der Mensch nun seinem eigenen Lebensraum und dem der Anderen beraubt und alles ausbeutet und zubetoniert, wie ist es ihm dann noch möglich Leben aufrecht zu erhalten? Wenn der Mensch seinen eigenen Lebensraum und den der Anderen zerstört, zerstört er auch den Lebensraum der Tiere und der Pflanzen, wie ist es ihm dann noch möglich, sein Leben aufrecht zu erhalten?

Ein Leben auf dieser Welt ist doch nur dann möglich, wenn Vernunft vor Habsucht, Frieden vor Krieg, Beschützen vor Zerstörung, Anstand vor Raubbau und Wertschätzung vor Gewinnsucht stehen.

Hätte sich der Mensch nur einmal diese kleine, einfache Frage gestellt, so denke ich, hätte er merken müssen, dass das, was er täglich zerstört, unwiederbringlich ist und ein Leben auf dieser Welt dann nicht mehr möglich sein wird. Leider hat der Mensch die Chance verpasst, sich diese Frage zu stellen, leider hat der Mensch die Chance verpasst, sich diese einfache Antwort zu geben... und somit die Chance verpasst zu Leben...

© Hans-Peter Zürcher

Donnerstag, 9. Februar 2012


Erwachen

Es ist noch tiefer Winter in den Bergen, ob schon es bereits Anfang März ist. Stahlblauer Himmel und Sonnenschein geben der Winterlandschaft eine besondere Note. Der Schnee liegt noch meterhoch, so dass von den Hütten auf der Bussalp lediglich die Dächer herausschauen. Diese sind ebenfalls noch mit einer dicken Schneeschicht überdeckt. Eiszapfen, die in der wärmenden Sonne zu schmelzen beginnen, tropfen mit dem schmelzenden Schnee der Dächer um die Wette, uns singen ihre Melodie zusammen mit den leise gurgelnden Rinnsale und Bächlein, die noch irgendwo unter dem Schnee verborgen liegen.

Am nächsten Tag hat sich die Wettersituation komplett verändert. Vom Wetterhorn, der Fiescherwand oder vom Eiger hört man immer wieder Lawinen ins Tal donnern, denn sehen kann man sie inzwischen nicht mehr, der Nebel ist zu dicht geworden, und die Nebelgrenze nun zu hoch. Dementsprechend war es den ganzen Tag über schon recht düster. Gegen den Abend hin beginnt es aufs Neue zu schneien. Es sieht fast so aus, als ob dieser Winter nie enden wollte.

Der darauffolgende Tag ist nun wieder das pure Gegenteil, schon früh morgens sieht man die Sterne funkeln und der Vollmond trägt das übrige zur Winterstimmung bei. Und als dann später die Sonne über dem Mettenberg zum Vorschein kommt, und der Schnee zu funkeln und glitzern beginnt, war die Winterstimmung perfekt. Das Panorama, das vom Wetterhorn bis zum Gschpaltenhorn sämtliche Berggipfel aufzeigt, ist zusammen mit dem stahlblauen Himmel und den verschneiten Bergen schon eher fast kitschig anzusehen. Ein Bergwinter wie er nicht schöner und üppiger sein kann.

Und doch, einige Wochen später, gegen Ende Mai, scheint dann doch noch der Frühling zu erwachen. Die Sonne scheint immer stärker, die Tage werden immer länger, und so schmilzt auch auf der Bussalp der Schnee langsam dahin und es zeigen sich die aperen Wiesenhänge. Die Natur beginnt sich zu regen, die Vögel wie Bergfinken, Dohlen, Falken und Milane, sie alle verspüren das Neue, das Erwachen der Natur und die schneebedeckten Berge ringsherum tragen ihres zu dieser schönen Stimmung bei.

Über die ganzen Alpweiden ist nun der Frühling hereingebrochen. Enziane, Krokusse, Alpenakelei und dergleichen blühen aufs Schönste. Murmeltiere sonnen sich auf den von der Sonne erwärmten Felsbrocken oder führen freundschaftliche Zweikämpfe aus. Die ersten Hummel und Bienen summen und brummen über die Wiesen und suchen nach blumiger Nahrung. Da und dort liegen noch Schneereste und die Höhen der Burg und das Faulhorn sind noch mit viel Schnee bedeckt. Die kleinen und grösseren Bäche bringen gurgelnd und rauschend das Schmelzwasser aus den höheren Regionen zu Tal und ab und zu donnern kleinere Lawinen vom Wetterhorngipfel herab.

Und so wird es nicht mehr lange dauern, und die Alpweiden auf Bussalp werden vom Glockenklang der Viehherden erklingen. Aus den Schornsteinen der Alphütten wird Rauch vom Holzfeuer, über den die Käsekessi erhitzt werden, aufsteigen und seinen würzigen Duft verbreiten, die Alp erwacht und beginnt für einen Alpsommer lang zu leben. Alpenrosenbüsche erblühen und auch in den Alpwiesen blühen die Margeriten und andere Sommerblumen.

Und wenn dann im Oktober der erste Schnee auf die nun blühenden Heidekrautbüsche fällt, die Bussalp und die Natur in den Alpen wieder langsam in ihren Winterschlaf versinkt, ja, .......dann kann man sich auf das neue Erwachen im nächsten Frühling freuen!

© Hans-Peter Zürcher

Mittwoch, 25. Januar 2012


Rosen im Januar

An einem Donnerstag Ende Januar, schlenderte ich am frühen Nachmittag über den Markt von Basel. Ein eisiger Wind säuselte einem um die Ohren. Es waren nur wenige Stände aufgebaut, die Kälte hielt wohl die Markfahrer davon ab. An diesen wenigen Marktständen wurden vorwiegend Blumen feilgeboten. Ein Stand fiel mir besonders auf. An dem gab es wunderschöne Rosen aller Farben und Züchtungen zu kaufen. –Frische Rosen, hmm, jetzt im Januar- ging mir durch den Kopf -na ja, Eisblumen währen wohl für diese Jahreszeit sicher das Richtigere-.

"Guten Tag, wie lange halten denn diese schönen Rosen?", fragte ich den Händler. "Gut und gern sieben Tage", war seine Antwort. “Eigentlich nicht gerade lange für künstliche Rosen", gab ich lachend zurück und schlenderte weiter. -Mimosen wären jetzt eher angesagt-, ging mir durch den Kopf. Im Süden sollten um diese Jahreszeit die ersten Mimosenbäume in Blüte stehen.

Vor einigen Jahren hatte ich Mitte Februar in Locarno wunderbare Mimosenbäume in Blüte gesehen. Ein schöner Anblick, die runden, leuchtend gelben Blütenkugeln zwischen den gefiederten, sattgrünen Blättern. Zusammen mit der Ambiente der südlichen Baukultur und dem speziellen Duft, den diese Bäume verbreiteten, fühlte man sich bereits in den Frühling versetzt. Auch die Kamelienblüten faszinierten mit ihren großen roten und weißen Blüten im milden Klima des Südens. In der Ferne winkten die weißen, schneebedeckten Berggipfel, währenddessen in Locarno diese prächtige Blütenpracht lockte.

Zurück zu den Mimosen, deren Blüten sehr heikel sind. Wenn man diese als Sträuße gebunden in die warme Stube stellt, lassen sie sehr schnell die Köpfe hängen und verblühen im nu. Darum sagt man ja auch zu jemandem, der schnell aufgibt, den Kopf hängen lässt oder schnell mal den Beleidigten spielt, "du bist eine Mimose".

Also Mimosen wurden hier in Basel noch keine verkauft. Doch einige sah ich hier herumlaufen. Lassen wir darum diese Mimosen da, wo sie hingehören.

Ich kehrte an den Verkaufsstand von unserem Rosenhändler zurück und suchte mir ein kleines Rosengesteck aus. Er hatte wirklich wunderbare Rosen feil, das machte mir die Wahl nicht gerade einfach. Das von mir ausgesuchte tönerne Töpfchen war mit zwei gelben Rosen mit violetten Blütenrändern auf dunkelgrüne Blätter gesteckt und ausgeschmückt mit kleinen Ästchen mit zig leuchtendgelben Blütendolden. Kleine rote Beeren verfeinerte das kleine Kunstwerk. Beim bezahlen sagte er mir "und dieses Gesteck hält ihnen mindestens zehn Tage". Ich musste ihn ganz ungläubig angeschaut haben, denn er lächelte und meinte "ehrlich, sie müssen nur einmal, nach fünf Tagen, Wasser geben, aber bitte nur wenig".

Nun, seither waren fünfzehn Tage vergangen, und dieses hübsche Kleinod stand immer noch in voller Frische im Wohnzimmer auf dem Glastisch und erfreute mein Herz und das der weißen Tara neben ihm.

Selbst nach Jahren steht dieses Töpfchen immer noch neben meiner weißen Tara. Die Rosen sind immer noch sehr schön anzuschauen, aber inzwischen dürr und leicht verblasst, wirken dafür aber etwas reifer, eben wie wir Menschen auch.

© Hans-Peter Zürcher

Sonntag, 8. Januar 2012


Tauwetter

Diese Kurzgeschichte habe ich meinem Vater gewidmet. Leider weilt er schon viele Jahre nicht mehr unter uns, sein Herz konnte einfach nicht mehr. Er hatte immer versucht, uns das Leben so angenehm wie nur immer möglich zu gestalten, und dass es uns, im Gegensatz zu seiner Kindheit und Jugend, möglich war, einen Beruf zu erlernen. Was ihm nicht vergönnt gewesen, hat er mir ermöglicht.

Danke mein lieber Vater....

Hans-Peter

Die Sonne brannte auf die Erde nieder, als hätte sie den Auftrag, diese zu verbrennen. Der Himmel zeigte sich seit vielen Wochen in tiefem stählernen Blau, kein Wolkchen, das für wenige Sekunden bereit gewesen wäre, dieser Brennerei, wenn auch wenigstens nur für einige wenige Sekunden, ein Ende zu setzen. 36° im Schatten war im Unterland täglich zu verzeichnen, selbst in der Nacht fiel das Thermometer nicht unter 25°. Auch in den Bergen war es nur ein wenig angenehmer, auf 1500 müM erreichte das Quecksilber immer noch spielend die 30° - Marke. Ein außergewöhnlich heißes Jahr. 
Die Wiesen und Äcker waren braun verbrannt, braun waren Arme und Gesichter der Feldarbeiter, die in dieser Hitze ihre Arbeit verrichten mussten. Gnadenlos der Sonne ausgesetzt, von Frühmorgens bis Abends, nur zwischendurch mal eine Pause im Schatten eines Baumes. Käse, Brot und Most. Bauer, Knecht und zwei Kinder waren es, die sich da täglich abrackerten, wobei die Kinder nicht etwa eigene waren, nein, Verdingkinder waren es, die da in dieser Gluthitze ihre Arbeit verrichten mussten.

Hans hatte es nicht einfach, er verlor mit zehn Jahren seinen Vater. Von da an war es fertig mit seinem Kinderdasein, seine Mutter verdingte ihn zu Bauern. Im Winter zur Schule im Sommer zu den Bauern. - Wie schön wäre es, wenn es jetzt Winter wäre -, träumte er vor sich hin, während er das verdörrte Gras mit dem Rechen, der ihn um einiges überragte, zusammenzog. Noch am gleichen Tag wo das Gras, das eh schon verdorrt war, geschnitten wurde, konnte es eingebracht werden. Auf den Winter freute er sich den ganzen Sommer über, denn da durfte er Kind sein, mit seinen Kameraden spielen, seinen Wissensdurst stillen und den Geschichten, die der Lehrer jeweils am Samstag vorlas lauschen, vorbei die Rackerei. Vorbei bis zu dem Zeitpunkt, da das Tauwetter begann, das Eis und Schnee schmelzen ließ und seine Mutter ihn wieder an Bauern verdingte.

Durst hatte er, dabei war es erst acht Uhr am Morgen, noch eine ganze Stunde musste er ausharren, bis dann die Magd mit dem Handkarren die Brotzeit brachte. - Jetzt nur nicht schlapp machen - ging ihm durch den Kopf, denn noch allzu gut erinnerte er sich an den Herbst vor drei Jahren, als er beim Mist austragen zusammenbrach. Unbändige Schmerzen in Brust und linkem Arm. Das Herz des Buben konnte dieser Schufterei nicht standhalten, hatte gestreikt, ein Herzinfarkt im zarten Kindesalter. Wie etwas Unwirkliches saß diese Leidenszeit in ihm fest, tief in die Seele eingebrannt. Verlorene Tage, Wochen und Monate. Kaum genesen ging’s schon wieder los, vielleicht nicht mehr mit ganz so schwere Arbeiten wie vorher, aber in dieser Hitze zu arbeiten, das war sehr schwer, auch wenn es nur um Heu zusammen rechen ging.

An eine Ausbildung war nicht zu denken, denn die Schulbildung wies zu große Lücken auf, Lücken die nur durch Lebenserfahrung geschlossen werden konnten. Und so blieb es dann eben ein Leben lang. Als Kind verdingt, als Erwachsener ungebildet durch ein Leben voller Hindernisse, die nur durch sein gutes Herz gemeistert werden konnten, ein Herz, das von unmenschlicher Schufterei angeschlagen war und trotzdem hatte Hans ein gutes Herz, das er seiner Familie schenkte.


© Hans-Peter Zürcher

Donnerstag, 29. Dezember 2011


Die verborgenen Stunden der Sonne

...oder Gedanken an einem kalten Wintertag

Wer Lust zu lieben hat, steht von den Toten auf, denn nur wer liebt, ist lebendig.

Robert Walser

Vor vielen Jahrhunderten, Jahrtausenden, fragten sich die Menschen, was geschieht mit der Sonne, wenn sie untergeht. Die Menschen fragten sich, was kommt nach dem Tod. Auch heute noch stellen wir uns immer wieder diese Frage, was kommt nach unserem Tod. Heute wissen wir, dass die Sonne am anderen Morgen wieder aufgeht, die Sonne, die uns am Leben erhält. Alles Leben hat seinen Kreislauf, also, so fragen wir, warum soll es also nach unserem Ableben auf dieser Erde für uns nicht weiter gehen.

Alles hat seinen Kreislauf. Die Erde ist rund. Tag und Nacht sind eben so in einen Kreislauf gebunden wie Ebbe und Flut, wie die vier Jahreszeiten, die uns deutlich und klar vor Augen führen, wie im Frühling immer wieder neues aus altem entsteht, im Sommer sich alles üppig auslebt um sich dann im Herbst aufs Vergehen vorzubereiten, dass sich dann alles über den Winter in sich ruhend aufs Neue im Frühjahr vorbereiten kann.

Dieses System des immerwährenden Wiederkehrens ist leider immer mehr gefährdet. Seit es dem Menschen gelungen ist, sich in diesen Kreislauf, bewusst oder unbewusst, einzumischen, wird dieser Kreis immer mehr aufgebrochen und verwandelt sich unaufhörlich in eine unendliche Gerade des Vergehens. Unwiderruflich wird dadurch der Kreislauf durchbrochen und alles das zerstört, was diesen am Leben hält. All das wird letztendlich auch den Menschen selbst endgültig zum erlöschen bringt.

© Hans-Peter Zürcher

Montag, 26. Dezember 2011


Ein Jahrbuch...

Oder Gedanken zum Jahresausklang

Das alte Jahr geht bald zu Ende. Wir schließen einen weiteren Band im Lebenszyklus dieser Welt. In einem einst sauberen, unbefleckten Jahrbuch sind wieder viele, viele Seiten gefüllt worden. Beschrieben mit Blut und mit Tränen, verkleckst mit unzähligen Gewalttaten an Mensch, Tier und Natur.

Wir beginnen bald mit einem neuen Jahr, schlagen ein neues Buch auf, wieder ist es ein reines unbeflecktes Buch, ein neuer Band im Lebenszyklus dieser Welt. Ebenfalls eröffnen wir ein neues Kapitel in unserem eigenen Lebensbuch.

Ein neues Jahrbuch aufzuschlagen ist wunderbar, denn all seine leeren Seiten sind rein, weiß und unbefleckt. Weiss wie Frieden. Möge die Menschelt die Chance nutzen, dass dieses neue Jahrbuch rein weiß und unbefleckt bleibt und wunderbare Geschichten von Frieden und Wohlergehen für Alle eingetragen werden...

Ein neues Kapitel in unserem Lebensbuch aufschlagen, ja, ich denke so rein und weiß die Seiten auch aussehen, täuscht. Die Seiten sind voll geschrieben mit unsichtbarer Tinte, dessen Inhalt nur langsam mit den gelebten Tagen sichtbar wird. Die letzten Worte im letzten Kapitel werden wir dann dereinst nicht mehr lesen können. Zwischen all den bereits vorgeschriebenen Zeilen findet sich aber noch viel Freiraum, den wir mit unserer Lebenseinstellung und unserer Lebensweise beschreiben können. Hier müssen wir besonders achtsam sein. Denn schnell hinterlassen wir Kleckse, die wir nicht mehr ausradieren können. Füllen wird diesen Freiraum doch mit Liebe, Wertschätzung, Anstand und all dem, was das Leben unserer Mitmenschen, der Natur und letztlich ja auch unser Leben positiv beeinflussen kann....

© Hans-Peter Zürcher

Sonntag, 18. Dezember 2011


Für einen Augenblick nur

Einer Erinnerung aus meiner Kindheit...

Ein Augenblick kann unendlich lang sein, wenn man etwas erwartet, das seit Tagen, ja sogar seit Wochen angekündigt wurde. So ein Augenblick war es damals, als wir Kinder am Heiligabend in der kleinen Stube auf die Ankunft des Christkindes warten mussten. „Es dauert nur noch einen kleinen Augenblick“ meinte unsere Mutter, als Vater in die schöne Stube verschwand. Diese war schon den ganzen Tag als verbotene Zone deklariert worden, streng geheim und abgeschlossen. Alle Jahre wieder dasselbe Ritual, und doch war es für uns immer wieder eine hoch spannende Angelegenheit, die Warterei auf das Christkind...

In der ersten Dezemberwoche waren wir jeweils mit dem Basteln eines Wunschzettels beschäftigt. Mit dem Schreiben alleine war es nicht getan, nein, es musste etwas besonderes sein. Es musste ein Wunschzettel sein, der dem Christkind Eindruck machte, so dass all unsere Wünsche in Erfüllung gehen sollten. Der Wünsche waren wir voll und etwa gar nicht bescheiden. Denn immer wenn wir durchs Jahr hindurch einen ausgefallenen Wunsch äußerten, hieß es: „da müsst ihr schon noch ein bisschen warten bis das Christkind kommt.“ Also wurde gezeichnet, geklebt und gebastelt was das Zeugs hält. Und dann, eines Abends war es so weit, Großvater meinte, dass genau an diesem Abend das Christkind hier vorbeifliegen werde, wir sollen jetzt unsere Wunschzettel vor das Fenster legen, am besten vielleicht hier vor das Küchenfenster. „Es dauert nur noch einen kleinen Augenblick, seid ja still, ruhig und artig“, meinte Großvater. Natürlich war dieser Augenblick zu lange für uns Buben. Ich fragte, und das nicht gerade leise, wenn es denn nun endlich käme. „Scht...“ mahnte Großvater. Es nutzte nichts, Mutter rief aus der Stube etwas von Christkind und dass es soeben sich am Stubenfenster gezeigt hätte. Wir stürmten in die Wohnstube ans Fenster, aber es war weit und breit nichts von einem Christkind zu sehen. Oder doch? das lag doch draußen etwas auf dem Sims. Schokoladen, zwei Weihnachtsschokoladen! in farbiges Stanniolpapier verpackt, mit einem in ganz weiß bekleideten, blonden Engel. „Ein Zeichen vom Christkind“, sagte Großvater und schmunzelte vor sich hin. „Und unsere Wunschzettel?“ fragte mein kleiner Bruder. Gleichzeitig rannten wir ans Küchenfenster. Weg, sie waren tatsächlich weg.

...Auch an diesem Heiligabend dauerte der kleine Augenblick eine Unendlichkeit. Daran sollten wir Buben eigentlich gewohnt sein, dies wiederholte sich ja alle Jahre auf dieselbe Weise, dieses Augenblickritual. Das Weihnachtsglöcklein klingelte auch alle Jahre auf dieselbe Weise und der Baum sah auch alle Jahre gleich aus. Und trotzdem, es war immer wieder ein großes Ereignis für uns, dieser kleine Augenblick, der uns dem Fest entgegenfiebern ließ und der nie enden wollte.

© Hans-Peter Zürcher


Ein besinnliches, frohes Weihnachtsfest
wünscht Euch
Herzlichst Hans-Peter Zürcher 

Freitag, 16. Dezember 2011


Eine kleine Adventgeschichte

Ein trüber und kalter Adventsonntag war es damals anfangs Dezember. Am Nachmittag fuhr Peter mit der Straßenbahn aus der Innenstadt dem Bahnhof zu. Die Fensterscheiben waren beschlagen, da und dort sah man aber durch frei gewischte Löcher hinaus. Die Straßenlaternen beleuchteten mit gelblichem, warmem Schimmerlicht die Gehsteige und die Straßen, die weiß glitzernd mit Schnee bedeckt waren. Das Treiben in den Straßen und Gassen wie auch in den Geschäften war eher gemächlich. Keine Hektik, wenig Leute, ein eher ruhiger erster Verkaufssonntag im Dezember. Leise rieselte Schnee aus dem mit dicken dunklen Wolken verhangenem Himmel. Das Rumpeln des alten Straßenbahnwagens wurde durch den Schnee gedämmt. Trotz geschlossener Fenster fühlte Peter einen kalt einströmenden Luftzug, der ihn frösteln ließ, dessen die großen Elektroheizkörper unter den hölzernen Sitzbänken nicht wettmachen konnten. Er schlug seinen Mantelkragen hoch und verschob sich auf der Sitzbank gegen den Mittelgang hin. Im Wagen befanden sich nur wenige Passagiere, denn es war noch früh am Nachmittag. Im schräg gegenüberliegenden Abteil entdeckte er einen Teddybären, der verlassen auf der Holzbank saß und lustig im Takt der holpernden Straßenbahn wackelte. Ja, es war schon etliche Jahre her, da hatte er auch einen solchen Bären, der ihn immer und überall hin begleitete. –Wer mag den wohl vergessen haben, muss wohl sehr traurig sein, das Kind-. Er stand auf und setzte sich dem Bären gegenüber. „Na, kleiner, wer hat dich denn da einfach sitzengelassen“. Der Teddy blieb stumm, blickte Peter aber mit großen, dunklen, leuchtenden Augen an. Graubraun, war er, mit einem liebevoll gebunden, schützenden Schal um den Hals. Schließlich war es ja Winter und wer kuschelt da schon gerne mit einem Teddy der erkältet war. Als an der Endstation am Bahnhof die wenigen Passagiere ausgestiegen waren und sich niemand um den kleinen Bären gekümmert hatte, nahm ihn Peter beherzt auf, streichelte ihm liebevoll über den Kopf und sagte zu ihm: „wenn du willst, nehme ich dich mit in mein warmes Stübchen, dann musst du wenigstens nicht frieren und bist nicht so alleine. Weißt, ich hab zu Hause meinen Mutzli, den kleinen Bären, der mich durch meine Kindheit begleitet hatte“. Er kippte ihn kurz nach hinten und zurück. „Mö ööö “ war seine Antwort, das soviel hieß wie ja gerne.....

Seither sind gut vierzig Jahre vergangen. Peter war mit dem Zug unterwegs nach Hause. Ein Werktag war es im November. Seine Nachbarin Yvonne mit ihrer Enkelin war ebenfalls im Zug. Die Kleine hatte ihren Teddy, der stark verknutscht und lädiert aussah, mit dabei und spielte mit ihm während der Fahrt. Sie setzte ihn auf den freien Sitz gegenüber und plauderte mit ihm drauf los. „Pass ja gut auf ihn auf, Vreneli“, mahnte sie die Kleine, „nicht dass du ihn dann sitzen lässt, wenn wir aussteigen müssen“. Dann erzählte sie Peter, dass sie ihren geliebten Teddybären vor vierzig Jahren in der Straßenbahn sitzengelassen habe. Sie war damals fünf Jahre alt und mit ihrer Tante zum Weihnachtseinkauf in die Stadt gefahren. Damals sei sie sehr traurig gewesen über den Verlust ihren geliebten Bären. Peter musste über diese Geschichte schmunzeln, erwähnte aber nichts von seinem damaligen Fund.....

......Am ersten Adventsonntag, mild war es, aber stürmisch, machte sich Peter mit einem kleinen Bündel unter dem Arm auf den kurzen Weg hinauf zum Haus von Yvonne. Sie waren schon seit damals Nachbarn, sie in ihrem Elternhaus, Peter in den seinem. „Schön dass du kommst, wir sind gerade beim Tee, komm doch herein, bitte, sei so gut. Aus dem Haus strömte ihm ein feiner Duft von Weihnachtsgebäck entgegen. Ja, diese Einladung nahm er sehr gerne entgegen. „Wir sind am Backen und gönnen uns nun ein erstes Gutzi“, lächelte Yvonne. Kerzen auf dem Tisch und ein elektrischer Pyramidenleuchter am Fenster trugen das ihre bei zu dieser vorweihnachtlichen Stimmung.

Peter öffnete geheimnisvoll sein mitgebrachtes Bündel. „Mö ööö“, ertönte eine Stimme aus der Decke. Peter streckte mit einem Lächeln den mit Schal bekleideten Teddybären Yvonne hin und sagte: „schau, den habe ich just vor vierzig Jahren am ersten Advent in der Straßenbahn sitzend gefunden und ihn mit in mein Stübchen mitgenommen. So war mein Mutzli nicht ganz allein, denn zum spielen war ich damals nun wirklich zu alt“. Yvonne konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, zu bewegt war sie. Sie umarmte Peter und küsste ihn auf die Wangen. „Mein Gott, du?“, stammelte sie ganz aufgeregt, „du hast ihn gefunden, nein so was, nun wohnen wir schon so lange nebeneinander und mein Fritzli, den ich so vermisst hatte, war mir so nah. Nun holte Peter auch noch seinen Mutzli aus der Decke, „nimm ihn zu Dir, denn die beiden sind in den vierzig Jahren gute Freunde geworden, sie zu trennen wäre für die beiden sicher sehr schlimm...

© Hans-Peter Zürcher

Donnerstag, 8. Dezember 2011


Eiskristalle

Einer Erinnerung aus meiner Kindheit...

An einem Sonntagmorgen Ende November, stahlblauer Himmel aber fünfzehn Grad Kälte, wurde ich von meinem Großvater abgeholt. Er wolle mit mir einen Spaziergang unternehmen.

Bereits beim Aufstehen konnten wir an den Fenstern in unserem Kinderzimmer die schönsten Eisblumen bewundern. Ein weißlicher Hauch, blau hinterlegt vom Himmel, aus den allerschönsten Mustern komponiert. Eisblumenzauber in höchster Vollendung, von der Natur geschaffen. Eine Kombination aus unserer nächtlicher Ausdünstung und kalter durchgefrorener Fensterscheiben, zusammengesetzt aus lauter kleinster und feinster Eiskristalle. Wir Kinder konnten uns nicht genug satt sehen an diesen Blumen- und Blattmustern. Wenn wir diese dann aus nächster Nähe betrachteten, brachte unser warme Atemhauch diese Gebilde langsam zum schmelzen, um dann, wenn wir wieder ein wenig Abstand nahmen, gleich wieder welche entstehen zu lassen. Dieses Spiel konnten wir an solch kalten Tagen fast beliebig lang spielen, waren doch die beiden Fenster nach Norden und Westen orientiert, daher nur kurz von der Nachmittagssonne gestreift. Durch die vom Wohnzimmer her geöffnete Türe konnte das Zimmer tagsüber beheizt werden, so zogen sich dann jeweils die zarten Eiskristallgebilde bis fast an den Rand der Fensterscheibe zurück, um dann in der Nacht aufs schönste wieder aufzublühen.

Gut eingepackt, mit Schal, Handschuhen und dicker Wollmütze bekleidet, machten wir uns auf den Weg. Schnee war wenig vorhanden, die Straßen und Wege aper. Aber die Bäume, die Zäune, ja sogar die Telefonleitungen waren mit einen dicken Eis-kristallschicht ummantelt. Ein Anblick, der zusammen mit dem tiefen blau des Himmels wie im Märchen aussah. Jedenfalls stellte ich mir so eine Märchenlandschaft vor. Dem Waldrand entlang steigerte sich das Bild dieser dick über- zuckerten Eiskristallgebilde, das sich in der Nacht über die Sträucher und Hecken gezogen hatte. Die Tannen, ja die ganze Landschaft sahen aus wie frisch verschneit. Da und dort ragten in den Wiesen aus dem eher spärlichen Schnee Grashalme, einzeln oder in ganzen Büscheln, steif gefroren und ebenfalls weiß überzuckert.

Gesprochen hatten wir nicht viel. Das unendlich schöne dieses Wintermorgens zog uns zu sehr in seinen Bann. Großvater versuchte mir dieses Phänomen der Eiskristallbildung zu erklären, ich konnte mir aber zu der Zeit überhaupt nicht vorstellen, wie so etwas entstehen kann. So verblieb es in mir als Vorstellung eines Zaubers, der mich heute noch in seinen Bann zieht, wenn ich Eiskristallgebilde in der Natur draußen betrachten kann. Eisblumen zu entdecken ist leider eher schwierig geworden. Aber wenn ich einmal ein solches Fenster entdecke, dann spiele ich das Spiel mit dem warmen Atemhauch.

 © Hans-Peter Zürcher