Freitag, 1. April 2011


Ein Regentag

Eigentlich war es ein Tag wie jeder Andere, kaum dass sich erste silberne Lichtstreifen am Horizont bemerkbar machten, begannen Amseln sachte und zart mit ihrem Morgengesang. Aus einem tiefen, beinahe schwarzen Blau des sich langsam lichtenden Nachthimmels glitzerten und funkelte ein Sternenhimmel. Zusammen mit dem kühlen, fahlen Mondlicht eines dreiviertel Mondes entstand eine silbern schimmernde Märchenlandschaft. Im nahen Teich lieferten Frösche in höchster Balzstimmung ein Quakkonzert der besonderen Art in den frühen, erwachenden Tag. Je heller es wurde, je mehr gesellten sich zu diesem Konzert liebliche Töne einer jubilierenden und singenden Vogelschar, als wäre soeben der Frühling ausgebrochen. Dieser begann aber in diesem Jahr besonders früh und man könnte fast meinen, es währe bereits Frühsommer. Die Silberstreifen verwandelten sich in kleinen Schritten in ein Violettrot, das sich langsam zu einem Morgenrot entwickelte und der Natur einen besondere, zarte, fast verschämte Note einhauchte. Nur noch wenige Sterne und der Mond getrauten sich in dieses Himmelsspektakel hinein zu leuchten. Die Luft roch nach Nachtfeuchte und bildete zarte Nebelchen über die Wiesen und braunschwarze Gartenböden, die vor lauter Grünzeug und Blumen kaum mehr ersichtlich waren. Eine ungewöhnliche, schwere Milde lag über dieser Szenerie und verbreitete so eine Morgenstimmung, als wären Freude und Trauer zu gleich in Erscheinung getreten. Am Himmel spinnen helle, nun schon fast weiße, seichte Wölkchen, ihre Schleiertücher und weben daraus ein Kleid so fein wie ein zarter Hauch von Nichts. Erste Sonnenstrahlen brechen durch diesen Schleier und verwandeln die Landschaft mit einem weißen Licht in ein laues, leichtes, reinigendes Dampfbad.

So wie das morgendliche Konzert ausgebrochen war, so verabschiedete es sich nun, die Frösche mit einem traurigen Quak, das die Amsel mit ihrer Gesangsfrische aufmuntern wollte. Kein Windchen war zu verspüren und dennoch bewegten sich sachte die Blätter in Baum und Strauch. Ein Eichhörnchen, huschte von Ast zu Ast, flink einem Baumstamm hinunter gleitend, um nach kurzer Suche in ihrem nun nicht mehr geheimen Versteck, mit einer Nuss in die sichere Höhe eines Baumes entschwindend, um sich da sein Frühstück einnehmen zu können. Auch die Vögel folgten diesem Trieb. Die Amseln holten sich aus der leicht feuchten Erde Würmer zur Fütterung ihrer Jungen, um damit flugs im Geäste der Sträucher zu verschwinden, aus denen ein sachtes Gepiepst von Jungvögeln in ihren Nestern zu vernehmen war. Ein schwirrendes, flatterndes hin und her. Libellen flogen leise zittern über das Feuchte Gras, Biene und Hummeln brummten von Blum zu Blume, um in deren Kelchen sich mit dem süßen Nektar zu sättigen. Schmetterlinge, einzeln oder paarweise, streiften lustig flatternd durch dieses treiben. Eidechslein verharrten mit weit von sich gestreckten Beinchen auf Steinbrocken zwischen den Blumen und Grünpflanzen und ließen sich von den frühen Sonnenstrahlen aufwärmen. Ein kunterbuntes Treiben, untermalt von vielfältigen Geräuschen und Stimmen der Natur. Trotzdem lastete etwas Schweres, Unerklärliches über dieser stimmungsvollen, morgendlichen Naturkulisse, die durch das muntere plätschern des Brunnen hinter dem Haus nicht aufgeheitert werden konnte. Auch der verführerisch süße Duft, der blühenden Sträucher und Rosen vermochten diese Stimmung nicht zu aufzuwerten, das Schwere und Unerklärliche blieb hartnäckig.

Die zunehmende Wärme der Sonneneinstrahlung ließ die Feuchte der Nacht rasch verdampfen, hinterließ aber eine Schwüle, die sich zusammen mit der sich nun aufheizenden Luft sehr unangenehm bemerkbar machte. Aus den am Himmel verwobenen Schleiertüchern bildeten sich schnell quellende Wolkentürme, die sichtlich in die Höhe schossen. Wie in einem Kochtopf begann es nun zu brodeln, ein Schauspiel, in dessen sich dunkle schwarze Wolken aufblähten als wollten sie uns den Kampf ansagen. Ihre scharfen Ränder zeichneten sich im Sonnelicht wie frisch geschärfte Messerklingen und zeichneten das schwarz der Wolkenwand noch bedrohlicher ab. Es dauerte nicht lange, da begann ein Grollen aus dem Magen dieser Wolkenmassen, einige Blitze vermochten sogar das blend weiße Licht der Sonne zu überlisten. Fast gleichzeitig kam ein Wind auf, der nicht nur die Bäume und Sträucher in Schwingung versetzte. Rosenblüten, die verblüht an ihren Stängeln ein letztes schönes aufleuchten uns vermitteln wollten, hatten zu wenig Kraft, sich festzuhalten und wirbelten nun, in buntem Reigen vom böig aufblähenden Wind, kunterbunt durch die Luft. Der Wasserstrahl aus dem Ausgussrohr am Brunnen musste mächtig kämpfen, dass er nicht auseinander gerissen wurde. Vereinzelte Tropfen, dann ein Regenguss, dessen Tropfen schwer und groß waren wie durchsichtige Perlen, die im Licht der Sonne glitzerten wie tausend Sterne. Die Sonne und diese Glitzerperlen zauberten einen wunderschönen Regenbogen an den Himmel. Und ebenso schnell wie das morgendliche Gewitterchen begleitet von eitlem Sonnenschein entstanden war, verfiel es in sich und hinterließ eine schwere, sumpfig duftende Luft. Die Wolkendecke begann sich zunehmend zu schließen und die Sonne zog sich zurück in ihr Himmelreich.

Ein plötzlich auffrischender Wind, getrieben durch eine angenehme Kühle, brachte einen Landregen, der sich über Stunden hinweg bis in die Nacht hinein zog. Das gleichmäßige Rauschen, das die vielen tausend Regentropfen auf den Blattern im Baum und Strauch hinterließen, bildete die Begleitmelodie zu den Quaklauten der Frösche, dem Abendgesang der Amsel und der Mönchsgrasmücke. Die stickige Schwüle wurde abgelöst durch einen reinen, frischen Duft von Regen, nassem Gras und einem leicht moderigen Duft feuchter Erde.

Die Düsterheit des Tages verlor sich in das Dunkel der Nacht, in deren Stille nur noch die Balzlaute der Frösche und das plätschern des Brunnen, vermischt mit dem meditativen Rauschen des Landregen zu vernehmen war.

© Hans-Peter Zürcher