Freitag, 4. Februar 2011


Frühlingstraum

Eine Impression

Es ist ein sehr kalter Nachmittag im Januar. Der Schnee vom Dezember, der doch eine beachtliche Decke stricken konnte, ist inzwischen geschmolzen. Einzelne Reste dieser ehemals weißen Pracht liegen noch an schattigen Plätzen, als wollten sie mir zu verstehen geben: „freu dich nicht zu früh, der Winter ist noch lange nicht vorbei“. Der Boden im Garten ist hart gefroren und lässt somit den Pflanzen keine Chance, sich an den Sonnenstrahlen zu erwärmen, um so einen Hauch von Frühling zu spüren. Und dennoch haben es die Primeln, die in Hausnähe eingepflanzt sind, geschafft, mit ihrer farbigen Blumenpracht dem Winter ein Schnippchen zu schlagen. Auch ein letzter Herbstenzian konnte es nicht lassen, seine letzte Blütenknospe unter dem Schnee weiter zu entwickeln und zeigt sich jetzt mit offenem, tiefblauem Blütenkelch. Ein eisiger Wind aus Ost bläst eine steife Bise über die Landschaft und mit ihm fallen die letzten braunen Blätter, die bis Heute standhaft waren. Der Himmel zeigt sich in milchigem Blau, durchzogen mit vom Wind getrieben Federwölkchen, die eher Föhn anzeigen und an kleine, schaukelnde Schiffchen erinnern.

...An diesem milden, ja schon fast warmen Frühlingstag lag ich inmitten sprießendem, noch leicht feuchten Gras vor dem Haus und ließ mir, von den Gesängen und dem munteren Gezwitscher der Vögel, meine Gedanken entschweben, entschweben in die Unendlichkeit des weiten, tief blauen Himmels, der mit kleinen Wölkchen durchzogen war, als wäre auf einem See eine Segelregatta in Gang. Genau die richtige Stimmung um ein Gedicht zu erdenken, das ich mir in meinem Appenzeller – Dialekt aufnotierte :

Wolke

Wolkeschiffli wiiss ond liis
züched am Himmel sanft ond fiin
verändereret of wonderlechi Wiis
erni Form ond au eren Sinn

Emol sönds gross und chräftig
gliiched enere Flotte wie zhuuf
denn wider chlii ond schmächtig
ond lösed sich denn plötzlech uuf

Wolketörm so gross und mächtig
entladet sich mit Sturm ond Rege
dröberabe schint d’Sonn so prächtig
als wär nütz gsee ossert ebe

Blaue Himmel ond’Wölkli fii
die träg ond langsam züchet fromm
wie Schiffli of em Meer so chlii
verändert öppe eren Sinn ond d’Form

So enderet denn au d’Mensche
im lauf vo erner chorze Lebenszyt
ständig erni Art ond Wiis wie ebe
no de Charakter de ischt ond bliibt

Ja, genau so ist es mit den Menschen, sie ändern sich beständig, nicht wie die Natur im Kreislauf der Jahreszeiten, nein, eher wie die kleinen und großen Wolken am Himmel. Sind rastlos, ständig in Bewegung und verändern ständig ihre Art und Weise. Nur ihr Charakter, der bleibt beständig, ob gut oder schlecht, der ist einfach so wie er ist. Einen Charakter ändern zu wollen entsprich derselben Unmöglichkeit, als wollte man Berge versetzen. Letztendlich ist dies auch gut so.

Die Reise in die Unendlichkeit des Himmels machte mich müde. Ich ließ dies über mich ergehen, schloss die Augen und ließ mich in die unendliche Tiefe des Wohlseins tragen. Federleicht schwebt man hinab, die Töne und Geräusche verschmelzen sich zu einer Melodie des frei seins, der Schwerelosigkeit. Das Plätschern des Brunnen vereint mit dem jubilieren der Vögel gaben mir ein Gefühl von Ruhe und Entspannung, die Sonne erwärmte mich bis Tief in mein Innerstes und ließ in mir etwas entstehen, das zu beschreiben fast unmöglich scheint. Schmetterlinge im Bauch die wie toll herumflattern, tiefes Wohlergehen, Frühlingserwachen...

Rastlos sind auch die Vögel, die im Garten und den nahen Hecken geschäftig herumfliegen, um Nahrung zu suchen. Die Sonnenstrahlen dieses schönen Wintertages verführen sie in eine Vorfreude auf den kommenden Frühling, auf einen Neubeginn in der erwachenden Natur. Mir wird langsam kalt, der Biswind wird stärker. Der Enzian an seinem Stängel bewegt sich leicht im Wind und das Glockenspiel, das am Deckenvorsprung der Terrasse aufgehängt ist, ertönt in feinstem Klang, als wären es die ersten Schneeglöckchen, die den Frühling einläuten wollen.

© Hans-Peter Zürcher