Das letzte Blatt
Eine Art Einleitung
... Träume sind ebenso verrückt wie das Leben selbst und gleichen sehr oft einer Gratwanderung zwischen Sein und Nichtsein, gleichen einer Fata Morgana, die aus Hitzeflimmern, Traum und Realität entspringt. Denn alle Wahrnehmungen und Gedanken sind Realität, nur, ob sie nun Zukunft, Jetztzeit oder Vergangenheit sind, das weiß ich auch nicht, verleiten mich aber dann oft zum Träumen ...
Das letzte Blatt
Seit vielen Tagen weht ein zügiger Biswind, der sämtliche Blätter von den Bäumen zu wischen scheint. In vielen herbstlichen Farben schweben sie zum Takt der him- mlischen Musik, die der Wind zu verbreiten scheint, dem Boden entgegen und bedecken so Wege, Gärten und Wiesen mit einem bunten Teppich, der lustig raschelt wenn man darüber schreitet. Die Sonne schickt ihre milden, wärmenden Strahlen über diese immer trostloser werdende Landschaft. Der blaue Himmel ist mit nebelartigen Schleierwolken durchsetzt, der die Sonne als milchig weiches Wärmekissen erscheinen lässt. In der Luft liegt ein Duft von Spätherbst. Ein Duft von verbranntem Holz und trockenem Laub. Geschäftig fliegen Vögel in die bald mal blätterfreien Bäume und Sträucher, als wäre der Frühling ausgebrochen. Auch die Primel scheint sich von dieser überaus milden Wettersituation zu blühenden Aus- brüchen verleitet zu haben und zeigt uns ihre Farben- pracht ebenso wie der immer noch in tiefstem Blau leuchtende Herbstenzian.
Der Herbst vollzieht alljährlich aufs Neue sein Ritual vom Vergehen, vom Sterben. Möchte aber, und dies alle Jahre aufs Neue, sich immer weiter in den eigentlichen Winter hinein schiebend, noch einmal aufblühen und zu neuem Leben erwachen. Ein ehrwürdig erreichtes Alter will nochmals aufblühen und in jugendlicher Schönheit und Scharm erscheinen. Es möchte noch nicht zu Grabe getragen werden.
Auch das immer noch sattgrüne Blatt ganz oben in der mächtigen Buche, auch das möchte diese Welt noch nicht verlassen. Mann kann es nur erkennen, wenn man den alten Baum mit seinen weit verzweigten Ästen genau betrachtet. Die meisten Blätter sind inzwischen dürr und braun verfärbt, fallen tanzend gleich Schneeflocken zu Boden und lassen den ehemals im Sommer prächtigen, schattenspendenden Baum nur noch als trostloses Gerippe erscheinen. Und ganz oben ein sattgrünes, saftiges Blatt, das sich dem Sterben erwehrt und mir im zügigen wehenden Biswind zuwinkt. Ob im Sonnenschein des Tages oder im blassen nächtlichen Lichte des Mondes, es harrt da oben aus und will nicht sterben.
Jeden Morgen schaue ich als erstes zu diesem Baum hinüber, sehe zum grünen Blatt hinauf, ob es sich vielleicht inzwischen auch zu verfärben beginnt und bin dann sehr erleichtert, dass es mir immer noch in frischem Grün in den Morgen begrüßt. Ist es ein Traum oder ist es Wirklichkeit? dieses saftig grünes Blatt im Spätherbst.
Nun wird es aber von Tag zu Tag später hell am Morgen und so bange ich bis zum Mittag. „Wie geht es meinem Blatt? ist es noch da und winkt es mir auch heute in seiner jugendlichen Frische wieder zu?“. Eine bange Angst kriecht in mir hoch. Doch dann fühle ich mich überglücklich, wenn ich es gesund und munter erblicke und ein Gefühl von Erleichterung löst meine bange Angst ab.
Eine enge Freundschaft ist zu diesem Blatt entstanden, das da oben stolz dem Wind und der Jahreszeit trotzt, eine Freundschaft die man schon fast als Liebe bezeichnen könnte. -Was ist, wenn auch dieses letzte Blatt fällt, wird die Zeit stehen bleiben, wird sich etwas in mir verändern, wird es einfach nur weitergehen wie jedes Jahr im ewigen Kreislauf der Zeiten-.
Eine Art Ausklang
... Fragen über Fragen beginnen in mir aufzukommen über Werden, Sein und Vergehen. Auch dieses Blatt wird eines Tages sterben müssen und aus diesem erloschenen Leben wird neues entstehen. Im ewigen Kreislauf hier auf Erden wie auch im Universum. Ich werde es vermissen wie einen lieben Freund, aber ich werde auch mit Zuversicht weiter schreiten durch mein Dasein, auf dass wieder Neues daraus entsteht und es weitergehen wird, endlos im ewigen Kreislauf von Werden, Sein und Vergehen ...
© Hans-Peter Zürcher
4 Kommentare:
Deine feingesponnenen Gedanken weben uns hier ein wunderschönes Naturbild, lieber Hans-Peter.
Sehr gerne habe ich deinen Text gelesen und ich staune, mit was für Herztönen du die Natur immer wieder so liebevoll beschreiben kannst.
Wir leben in einer komplexen Welt, in der sich alles und alle wechselseitig beeinflussen und wir gehören,
wie die Natur zu dieser grossen Einheit.
So sollten wir ein wohlgestimmtes Instrument im Orchester des Lebens sein.
Danke für deine anregenden Zeilen.
Herzlichst, Maria
"So sollten wir ein wohlgestimmtes Instrument im Orchester des Lebens sein"...
...welch großartige Worte liebe Maria.
Ja, der Mensch ist ein Teil der Natur, er hat aber vergessen, dass er nur als Gast in dieser leben darf. Mit aller Gewalt versucht er all das feine, das sensible Gebilde Natur, die auch seine Lebensgrundlage darstellt, zu zerstören. Seine übergroße Intelligenz scheint nicht auszureichen, um seinem Handeln Einhalt zu gewähren. Er macht weiter so wie seit eh und je und staunt ob der großen Veränderungen, die er mit seinem Handeln bewirkt. Selbst die vielen Gelehrten und überaus gescheiten Politiker verstehen nicht, was sie mit Ihrem Größenwahn anrichten. Sie reisen jährlich an sogenannte Umweltgipfel und produzieren dabei viele tausend Tonnen CO2, eben von dem Umweltgift, von dem sie immer so schon "predigen" dass dieses reduziert werden müsse und die Welt, die Natur zu retten. Was ist das nur für eine verlogene Gesellschaft! Nun, die Natur ist nicht umzubringen, aber was macht die Spezies Mensch? Sie bringt sich langsam aber SICHER selbst um!
Herzlichen Dank für Deine wunderbare Rezension
Dein Lyrikfreund Hans-Peter
Me gusta mucho el contraste entre el verde y el amarillo, has logrado una bella foto. Saludos.-
Lieber Hans-Peter,
ich bin sehr beeindruckt und kann mich nur noch den Worten Maria´s anschliessen..wie schöön..ein wohlgestimmtes Orchester des Lebens ! Deine tiefsinnigen Gedanken stimmen nachdenklich..wunderbar !
Herzlichst, Rosanna
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