Samstag, 26. Februar 2011

Ein Tag nicht wie jeder Andere


Ein Tag nicht wie jeder Andere
Schon beim Aufwachen am frühen Morgen sah es aus, als ob tausend Engel weinen würden. Die Vorhänge am Fenster meines kleinen Kämmerleins waren weit geöffnet, so wie immer in dem Zimmer, in dem ich zu schlafen pflege, denn zum Einschlafen und Aufwachen schaue ich gerne in die Weite und in den Himmel. Eigentlich wünschte ich mir schönes Wetter, wollte ich doch eine Dampfschifffahrt auf dem See unternehmen. Aber ein unermüdlicher leichter Landregen ergoss sich über das Dorf. Ich begab mich, nur mit einem Hemd bekleidet, vor die Tür meines Kämmerleins, das ebenerdig in einem Holzchalet, mitten in einer parkähnlichen Anlage, einige duzend Meter über dem Dorf gelegen ist. Die Aussicht auf die Berge und den See ist berauschend, die Ruhe, erholsam. Der Duft nach nassem Holz und nassem Gras und nach reinem Regen ist erfrischend. Tief nahm ich all das in mich auf und verweilte einige Minuten in dieser Herrlichkeit, bis es mich leicht fröstelnd wieder ins Kämmerlein zurückzog, in dem ich mich zum aufwärmen nochmals tief in das flauschige Deckbett kuschelte.

Nach dem Frühstück, das ich kurz vor Mittag eingenommen hatte, schlenderte ich unentschlossen durch das malerische Schnitzlerdorf, dem man hier so zu sagen pflegt, denn hier gibt es eine weltweit bekannte und anerkannte Schnitzlerschule, in der begabte junge Leute dieses schöne Handwerk erlernen und studieren können. Der Regen hatte sich in die Berge zurückgezogen, die Wolken standen hoch und einige Sonnestrahlen versuchten den Tag aufzuheitern. Der See war eher unruhig, Wellen schlugen an die Kaimauer, weiter draußen bildeten sich klein Schaumkrönchen. Den See entlang spazierte ich dann auch zurück bis zu Schifflände, wo ich mich nach den Fahrmöglichkeiten mit dem Dampfschiff erkundigte, dann setzte ich auf eine Bank und betrachtete das Wasser, die Wellen und das Spiel der Möwen im leichten Wind. Ein Hauch von Freiheit erfüllte mich mit Genugtuung. Die Unendlichkeit des Sees, wenn man hinunter ans andere Ende schaut, dessen Ufer nur ansatzweise Sichtbar ist. Die mächtigen Wolken, das Licht eines Sonnenstrahls, das ab und zu die Wolkendecke durchbrach. Die Berge gegenüber dem See lassen diesen eher einem großen Strom gleichen. Die Farbe des Wassers zeigte sich Smaragdgrün mit einer leicht weißlichen Trübung, die von feinstem Sand aus den Bergbächen rundherum stammt.

Der Himmel verdunkelte sich wieder, Wolken quellten auf, verformten sich zu Türmen, Drachen und anderen Figuren. Immer wieder öffneten sich größere und kleinere Löcher, durch die sich einige Sonnenstrahlen auf die fantastisch aussehende Landschaft verirrten und ihr ein Farbespiel entlockte, das sicher nur ein guter Maler nachvollziehen könnte. Ab uns zu wurden einzelne Regentropfen mir übers Gesicht gefächert, als würde eben dieser Maler seinen Malpinsel über mir ausschlagen. Der Wind begann aufzufrischen, mich begann es leicht zu fröstelte, so entschloss ich mich, zurück zu meinem Kämmerlein zu spazieren. Über die Hauptstrasse, dann hinauf über ein schmales Sträßchen, zwischen duftenden Gärten und Holzhäusern hindurch den Berg hinauf, heim nach Hause. Ja, ich fühlte mich bereits nach dieser kurzen Zeit hier oben wie Zuhause. Ein Glas Wein in der Hand, eine Decke über meine Schulter geschlagen, lasse ich meine Augen über den See und die Berge gleite, atme tief und genüsslich die reine Bergluft ein, ein Duft von feuchtem Holz und Gras, von verbranntem Holz eines Kaminfeuers und genieße so den sich langsam eindunkelnden Abend. In die werdende Dunkelheit leuchtete ein Lichtlein nach dem anderen auf, leicht flimmernd, rund um das Seeufer, am gegenüber liegenden Berghang, eins nach dem anderen. Die Wolken hoch, einige Regentropfen, die sich langsam zu einem leichten Regen vermengten, der sanft in die Nacht zu rieseln begann und so auf den Blättern des nahen Baumes einem tropfenden Rhythmus gleich ein Lied anstimmte.

Dieser Tag war wirklich nicht wie jeder andere. Trotz des eher trüben Wetters ein wunderschöner, erholsamer Tag der Muse, in den man sich gerne treiben ließ. Zeit spielte keine Rolle, einfach sich gehen lassen, von den Eindrücken, Düften und Klängen rund herum berauschen lassen, mehr wäre zuviel gewesen.

© Hans-Peter Zürcher