Sonntag, 14. August 2011


Eine kleine wahre Geschichte
oder
Impression zur Depression

Ein milder Morgen kündigt sich mit sanftem Morgenrot an. Diesen schönen Morgen nutzten viele Menschen für einen Ausflug. Ein kommen und gehen, ein heftig Treiben wie schon lange nicht mehr. Eine Stimmung der besonderen Art scheint die vielen Menschen in ihren Bann zu ziehen. Schroffe Bergesflanken mit dramatisch wirkenden, steil nach unten fallenden Kanten. Im letzten Morgenrot schimmert der Berg noch dramatischer. Diese einmalige Stimmung treibt dem Einen oder Anderen Tränen in die Augen, die still und leise über seine Wangen kullern.

Gefangen von dieser dramatischen Aussicht herrscht eine schon fast andächtige Ruhe, die nur ab und zu von den in der Nähe herumflatternden Vögel unterbrochen wird. Nichts scheint all die hier staunenden Menschen, zu denen sich im laufe der Zeit immer mehr dazugesellten, aus der Ruhe zu bringen, außer dass auch vielen Neuankömmlingen bald einmal Tränen aus ihren Augen laufen und sich in ihre verkrampften, heulenden Gesichten verteilten.

Wie angewurzelt stehen sie da, und weinen über ihren großen Verlust, der ihnen widerfahren ist. Einem Absturz in’s Ungewisse, vom Glanz der großen, mächtigen Höhentouren in ein dunkles, unergründliches Tal sind ihre Liebsten gestürzt. Ein unüberwindliches Drama, das sich der Witterung entsprechend aber schon seit einiger Zeit angekündigt hat. Da nützt auch ein sanftes Morgenrot, wie sie es die letzten Tage erfahren haben, nichts. Zu glitschig ist es geworden auf dem schmalen Grat, die Unvernunft trieb sie aber weiter. Trotz aller Warnungen, die sie in den Wind schlugen, mit einem ungebremsten Erfolgszwang treiben die den Weg nach oben voran. Selbst bröckelnde Massen, die von weit oben nach unten stürzten, und den einen oder anderen mit in die Tiefe riss, liess sie nicht vernünftig werden. Und nun sind alle abgestürzt, vernichtet und am Ende.

Einige der Weinenden lösen sich aus der Masse, sie können dieses Drama nicht weiter mit ansehen. Mit hochroten, vom Weinen benetzten Gesichtern, gehen sie davon, ihr Ausflug fand ein jähes Ende. Dass ihr Ausflug so beendet würde hätte nun wirklich keiner gedacht, nein, sie alle glaubten an einen breiteren, sicheren Weg, der immer und stetig nach oben führt. Und nun so was.

Am nächsten Morgen lesen sie in der Zeitung, von den Menschen, die durch Bombenattentate ums Leben gekommen sind, von den Naturkatastrophen, von Hungersnöten, die viele Opfer gefordert haben, von einer Kindesentführung, von Überfällen und Morden, von Vergewaltigungen. Unberührt über all diese Vorkom- mnisse, lesen sie auch die Wetterprognosen, die Regen und einen Kälteeinbruch voraussagen. Auch dieses lesen sie eher gelassen und unberührt. Die Seite mit den Börsenkursen aber, die reißt sie in eine völlige, tiefe Depression.

Sie tanzten viele Jahre ihren Gurus folgend ums goldene Kalb und liessen sich glitzernder Staub in ihre Augen streuen, der sie blind machte. Sie sahen nicht, wie diese Gurus immer mehr von ihrem Reichtum für sich abgezweigt haben, denn sie waren ja geblendet und blind. Nun haben sie all ihren Reichtum, ihr ganzes Geld verloren.

Und ihre Gurus? Die zoggen munter weiter ab, jammern wohl, werden aber dennoch reicher und reicher und reicher…

© Hans-Peter Zürcher