Ein Frühsommertag
Eine regenreiche Nacht tümpelt sich in einen eher düster anmutenden Morgen. Nur vereinzelt sind Amselgesänge wahrzunehmen. Aber die Krähen, ja, die waren voll in ihrem Element. Mit ihrem krää-krää-krää, das Überlaut in die Stille des erwachenden Morgen hinein lärmt, meinen sie wohl, die Welt aus ihrem schlaf wecken zu müssen. Nur zögernd beginnt der neue Tag zu lichten. Vom Vordach tropft unregelmäßig, aber dennoch stetig Regenwasser.
Auch wenn kein Erwachen mit Vogelgesang einem in den neuen Tag verführt, ist es dennoch ein angenehmes Gefühl, sich mit einer solchen Stimmung in den Tag zu bewegen. Denn langsam mit dem werdenden Morgenlicht können vereinzelte schwache Momente von leisem Blau im Wolkenmeer ausgemacht werden. An Blumen und Sträuchern, an Blättern und an noch kahlen Ästen glitzern tausende kleiner Regentropfen. Jeder für sich in Größe, Form und Farbe ein Unikat...
Gestern, da war es noch völlig anders. Blauer Himmel und Sonne wohin man schaute. Doch was war denn das? eine kleine Wolke, frech und flink, ließ für nur kurze Zeit die Sonne verdunkeln und wie aus heiterem Himmel rauschte ein heftiger Regenschauer nieder. Noch während dieser sich rauschend und zischend über Bäume und Wiese ergoss, zeigte sich bereits wieder die Sonne mit ihrem gleißenden Licht. Als ob ein dampfender Wasserfall sich über die Landschaft ergoss, durch den sich Äste und Blätter in schönstem Licht räkelten. Ein fantastisches Bild, das nur sehr kurz von seiner Poesie lebte. Dann spielten Licht und Schatten ihr Spiel, begleitet vom Summen und Brummen, vom Singen und Jubilieren. Die Natur spielte ihr Spiel, ihre Reize und ihre Sinne aus.
...Diese Herrlichkeit ist nur von kurzer Dauer. Denn schon bald verliert sich dieser leuchtende Glanz in ein tristes Grau eines Regentags. Kein Summen und Brummen der Bienen über dem Lavendelstrauch, kein Singen und Trällern von Amsel und Mönchsgrasmücke. Dafür das monotone Tropfen von Regenwasser vom Vordach in eine dumpf vor sich hinstarrende Pfütze. Hoch oben in der dampfenden Frühsommernässe durchbrechen die heiseren Schreie von Krähen die Regen- und Tropfgeräusche dieses Tages, der sich wohl wieder in eine regenreiche Nacht entflieht.
© Hans-Peter Zürcher