Abschied
Die Eintönigkeit der Bahnfahrt wird an jeder Haltestelle, die kurz zuvor ausgerufen wird, für kurze Zeit unterbrochen. Ob wohl der Zug gut besetzt ist, herrscht Ruhe und eine eher eintönige Stimmung. Einige Passagiere haben keinen Sitzplatz und stehen draußen vor dem Abteil. Die meisten der Fahrgäste hören über ihre mp3 – Spieler Musik, spielen mit ihrem Handy oder sind in eine Zeitung oder in ein Buch vertieft. Andere wiederum dösen müde von der Arbeit vor sich hin. Ich genieße die Ruhe im Eisenbahnwagen, aber ein wenig geplaudert hätte ich schon sehr gern.
Nun, so beobachte ich dann die einzelnen Fahrgäste. Die. die schon länger im Zug saßen, kannte ich nun schon einiger maßen gut, so meinte ich wenigstens. Im Abteil mir schräg gegenüber sitzen zwei junge Frauen. Auch sie sind jede für sich mit Musik und etwas lesbarem beschäftigt. Kommunikation scheint heute nicht mehr gefragt zu sein, alle wollen nur noch für sich alleine sein. Keine Gespräche, kein Lächeln, nichts, alle sitzen da, alle mit einem gleichartigen, versteinerten Gesichtsausdruck.
Auf der linken Seite kann man zwischen den Häuserreihen und Baumalleen ab und zu den Bodensee mit dem nahen, gegenüberliegenden Schweizer Ufer erkenne. Der Himmel ist bedeckt, doch eine wunderbare Weitsicht ist dank dem Föhn vorhanden. Das eintönige Rumpeln und Wiegeln des Eisenbahnzuges wird jeweils kürz vor der Einfahrt in einen Bahnhof durch ein hüpfendes dädedämm-dädedämm-dädedämm, das einen metallischen Nachklang in sich hat, unterbrochen.
So auch eben gerade jetzt. Aus dem Lautsprecher erklingt eine unpersönliche sterile Durchsage, die im Rattern beim überfahren der Weiche beinah untergeht: “Radolfzell, bitte benutzen sie zum Aussteigen den Ausgang auf der linken Seite„. Die Bremsen quietschen, der Zug hält an. Im Wagen entsteht geschäftiges treiben, einige Passagiere steigen aus, die, die bis an hin draußen vor dem Abteil gestanden haben, suchen nun nach einem freien Platz.
Draußen auf dem Fahrsteig steht eng umschlungenes ein sich heftig küssendes Liebespaar. Er löst sich zart und sachte aus der Umarmung und möchte einsteigen, kann aber nicht loslassen. Sie umarmen sich erneut heftig und innig. Sie lösen sich wieder voneinander, schauen hoch zu Bahnhofsuhr, beide Tränen in den Augen. Ein letztes Umarmen, zwei, drei Worte, ein Kuss, einletzter Händedruck, dann entgleitet der Mann aus den Händen seiner Geliebten und eilt dem Eingang zu. Völlig verweint steht sie nun suchen da und schaut aufgeregt, in welches Abteil ihr Geliebter nun einsteigen würde.
Er kommt in unser Wagenabteil, hastig eine Träne abwischend und setzt sich mir schräg gegenüber zu den beiden jungen Frauen. Die beiden Liebenden werfen sich nun beständig und beherzt Kusshände zu und versuchen, trotz ihres sichtlich großen Trennungsschmerzes zu lächeln. Langsam beginnt sich der Zug in Bewegung zu setzten. Der Mann stützt sich mit der einen Hand am Fenster ab, mit der anderen Hand schickt er seiner Geliebten nochmals einen letzten Kuss zu und sinkt dann sichtlich traurig zurück in seinen Sessel. Seine Hände auf dem Mitteltischchen übereinander gelegt sitzt er nun in Gedanken versunken da. Ein Strom von leisen Tränen rinnt über sein Gesicht. Er scheint nicht bemerkt zu haben, dass die junge Frau, die ihm gegenüber sitzt, ihn mit großen Augen beobachtet. Sie hatte, wie ich auch, diese berührende Abschiedsszene bereits auf dem Bahnsteig beobachtet. Und nun geschah etwas, was ich nie für möglich gehalten hätte. Sie legt ihre Ohrhörer weg, stellt den mp3 – Spieler ab und legt ihre Hand auf die Hände von ihrem ihr gegenüber sitzenden, fremden Mann. Mit der Anderen reicht sie ihm ein Taschentuch und lächelt ihn verständnisvoll an. Sie scheint selbst von diesem Abschied berührt zu sein.
Dädedämm-dädedämm-dädedämm, der Zug rattert über die letzten Weichen von Radolfzell, draußen flitzen Bäume, und Häuser vorbei, ein letztes Aufblitzen des Bodensee, dann eine immer düsterer werdende Landschaft mit Wald und Feldern, eine Landschaft, die langsam beginnt einzudunkeln. Mir eintönigem Rumpeln entflieht im Eilzugtempo der Nacht entgegen, dädedämm-dädedämm-dädedämm...
© Hans-Peter Zürcher
6 Kommentare:
Hans –Peter, eine Fülle von Dingen, die ich nach voll ziehen kann, schön geschrieben, besinnliches Beschauen und fühlen der kleinen alltäglichen Dinge.
Alles im Wandel der Zeit, aber der Mensch hat noch das gleiche Herz, die gleichen Augen, den selben Mund, die Seele die alles verbindet.
Es ist eine ungeheurer Überflutung mit allem, was für uns Menschen einfach zu viel ist, verdrängt wird alles was man eigentlich empfinden sollte…
Hier gibt es einen kleinen Bahnhof, der früher der Mittelpunkt war, bedenkt man, das ist die Hauptstrecke Berlin München, das Bahnhofsgebäude ist verschlossen, ein Fahrkartenautomat, falls man die Technik begreift und es funktioniert, schafft man den Zug, der Zug rollt ohne Vorankündigung ein,
er kommt wie aus dem NICHTS…. und fährt in das NICHTS…..
Ohhh mein Gott, wo führt das alles noch hin?
Danke für die wirklich nette Geschichte,
Grüße Jasmin
Hallo Peter,
diese Form einer Kurzgeschichte wünsche ich mir, häufiger in Blogs zu lesen. Das finde ich aber kaum in anderen Blogs. Auch ich selbst habe mich noch nicht richtig an diese Form heran getraut - bei mir dominiert mehr der Tagebuch-Stil. Das mit der Wiederholung des "Dädedämm" finde ich auch schön, weil es sich als Motiv wiederholt und weil solche Geräusche beim Bahnfahren ja auch auftreten.
Gruß Dieter
Abschied; Es ist schwer!
margareta
Lieber Hans-Peter,
wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe,
hat mich diese feinsinnige Betrachtung sehr berührt. Mit deinem sensiblen, tieffühlenden Gedankengut hast
du eine wunderbare Geschichte aus dieser Momentaufnahme kreiert.
Herzlich Grüsse in den schönen sonnigen Tag
Maria
Lieber Hans-Peter,
deine Erzählung hat mich zutiefst berührt. Obwohl ich sie schon kannte...ist sie immer wieder lesenswert !!
Herzliche Grüße von deiner Lyrikfreundin
Rosanna
Heute sits die jungen menschen mit ihren iPAD und mp3 sehr vertieft. Kein kleines geschpräch!!!! Alles ist still.
margareta aus schweden
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