Samstag, 9. Juli 2011


Sommertraum

Es war ein schöner, warmer Frühsommermorgen, ein stahlblauer Himmel, der durchsetzt war mit kleinen weißen Sommerwölkchen, die wie kleine Schiffe über einen großen See ziehen. Ich lag im noch taufeuchten Gras in unserem Garten unter dem Schatten spendenden Buchenhain, schaute diesen kleineren und größeren, munter umherziehenden Wolkenschiffchen zu und hörte mir verträumt den Gesang von Amsel und Mönchsgrasmücke an. Der kleine Brunnen plätscherte fröhlich vor sich hin. Hoch oben zogen zwei Rotmilane ihre kreisenden Bahnen und ließen sich dabei von der Thermik in die Höhe tragen. Ab und zu brummte ein Käfer oder eine Biene vorbei, die sich an der üppigen Blumenpracht genüsslich taten. Auch einzelne Schmetterlinge oder Paare tanzten um die Wette und Libellen aus einem nahen Teich schwirrten wie kleine Helikopter über den noch feuchten Rasen.

Aus unserem Haus dringen leise Töne von Klaviermusik. Es war die Sonate in G-Dur D 894 von Franz Schubert, eines meiner Lieblingsstücke. Diese Sonate ist 1826 entstanden, also zwei Jahre vor Schuberts Tod. Ein starkes, sehr schönes, lyrisches Stück, das zwischen Innigkeit und heftigstem Ausbruch alles beinhaltet und erfassbar macht, was ein Komponist und Musiker fühlbar machen und vermitteln kann, und dies, ohne die Abgründe zwischen den beiden erwähnten Gegensätzen einebnen zu wollen. Wahrlich ein Meisterwerk. Robert Schumann empfand diese Sonate als vollendetste in Form und Geist. «In ihr - so Schumann - ist alles organisch, atmet alles dasselbe Leben». Ein schöner Gedanke zu dieser wirklich wunderschönen Sonate, die zu diesem herrlichen Sommermorgen wie geschaffen schien.

Ich weiß nicht, wie lange ich so vor mich hingeträumt habe, die ganze Szenerie, die Musik, die Farben der Pflanzen und dessen betörender Duft, dies alles hatte meine Gedanken zurück in meine Kindheit wandern lassen. Mir kamen Erinnerungen auf, Erinnerungen an Ausflüge und Spaziergänge mit meinem Großvater. Wie er mit mir durch Wald, Feld und Flur wanderte, mir Tiere und Pflanzen erklärte, mich mit all den Düften, wie auch all den Geräuschen in der Natur bekannt machte und dies zu allen Jahreszeiten. Er zeigte mir, wie man aus Kerbel oder Haselstecken Flöten herstellen und spielen konnte. Ich konnte erfahren, aus welchen Pflanzen man Tee herstellen, oder welche Beeren, Früchte und Nüsse man essen kann.

All dies ging mir in Gedanken durch den Kopf, auch die Musik, die Großvater mir auf einem „Reisegrammophon“ zu Hause wie auch unterwegs vorführte, glaubte ich zu hören, denn er liebte Klaviermusik wie auch Opernarien und Jazz, nebst Marsch - und Volksmusik. Mit den Letzteren beiden konnte ich mich als Kind schon nicht anfreunden, ausgenommen waren lediglich Appenzeller - Streichmusik und natürlich Zäuerli. Die Liebe zu dieser Art Volksmusik hat aber seine eigene Geschichte.

Zwischenzeitlich stand die Sonne recht hoch und die Buchen vermochten mir keinen Schatten mehr zu spenden. Und eben diese Hitze, die nun auf mich niederprasselte, lies mich aus diesem Wachtraum aufwachen.


© Hans-Peter Zürcher

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