Sonntag, 18. Dezember 2011


Für einen Augenblick nur

Einer Erinnerung aus meiner Kindheit...

Ein Augenblick kann unendlich lang sein, wenn man etwas erwartet, das seit Tagen, ja sogar seit Wochen angekündigt wurde. So ein Augenblick war es damals, als wir Kinder am Heiligabend in der kleinen Stube auf die Ankunft des Christkindes warten mussten. „Es dauert nur noch einen kleinen Augenblick“ meinte unsere Mutter, als Vater in die schöne Stube verschwand. Diese war schon den ganzen Tag als verbotene Zone deklariert worden, streng geheim und abgeschlossen. Alle Jahre wieder dasselbe Ritual, und doch war es für uns immer wieder eine hoch spannende Angelegenheit, die Warterei auf das Christkind...

In der ersten Dezemberwoche waren wir jeweils mit dem Basteln eines Wunschzettels beschäftigt. Mit dem Schreiben alleine war es nicht getan, nein, es musste etwas besonderes sein. Es musste ein Wunschzettel sein, der dem Christkind Eindruck machte, so dass all unsere Wünsche in Erfüllung gehen sollten. Der Wünsche waren wir voll und etwa gar nicht bescheiden. Denn immer wenn wir durchs Jahr hindurch einen ausgefallenen Wunsch äußerten, hieß es: „da müsst ihr schon noch ein bisschen warten bis das Christkind kommt.“ Also wurde gezeichnet, geklebt und gebastelt was das Zeugs hält. Und dann, eines Abends war es so weit, Großvater meinte, dass genau an diesem Abend das Christkind hier vorbeifliegen werde, wir sollen jetzt unsere Wunschzettel vor das Fenster legen, am besten vielleicht hier vor das Küchenfenster. „Es dauert nur noch einen kleinen Augenblick, seid ja still, ruhig und artig“, meinte Großvater. Natürlich war dieser Augenblick zu lange für uns Buben. Ich fragte, und das nicht gerade leise, wenn es denn nun endlich käme. „Scht...“ mahnte Großvater. Es nutzte nichts, Mutter rief aus der Stube etwas von Christkind und dass es soeben sich am Stubenfenster gezeigt hätte. Wir stürmten in die Wohnstube ans Fenster, aber es war weit und breit nichts von einem Christkind zu sehen. Oder doch? das lag doch draußen etwas auf dem Sims. Schokoladen, zwei Weihnachtsschokoladen! in farbiges Stanniolpapier verpackt, mit einem in ganz weiß bekleideten, blonden Engel. „Ein Zeichen vom Christkind“, sagte Großvater und schmunzelte vor sich hin. „Und unsere Wunschzettel?“ fragte mein kleiner Bruder. Gleichzeitig rannten wir ans Küchenfenster. Weg, sie waren tatsächlich weg.

...Auch an diesem Heiligabend dauerte der kleine Augenblick eine Unendlichkeit. Daran sollten wir Buben eigentlich gewohnt sein, dies wiederholte sich ja alle Jahre auf dieselbe Weise, dieses Augenblickritual. Das Weihnachtsglöcklein klingelte auch alle Jahre auf dieselbe Weise und der Baum sah auch alle Jahre gleich aus. Und trotzdem, es war immer wieder ein großes Ereignis für uns, dieser kleine Augenblick, der uns dem Fest entgegenfiebern ließ und der nie enden wollte.

© Hans-Peter Zürcher


Ein besinnliches, frohes Weihnachtsfest
wünscht Euch
Herzlichst Hans-Peter Zürcher 

3 Kommentare:

rheinland-blogger hat gesagt…

Ich bin heute auf Deinen Blog gestoßen. Dass nur Geschichten / Kurzgeschichten / Erzählungen zu finden sind, gefällt mir. Sonst findet man in Blogs eher eine Vermischung zwischen Tagebuch, Geschichten, Aphorismen, Eindrücken und sonstigen literarische Formen. Ich werde sicherlich noch öfters herumstöbern.

Gruß Dieter

Rosanna Maisch hat gesagt…

Lieber Hans-Peter, ich wünsche Dir ein gesegnetes und frohes Weihnachtsfest.

Möge mich Dein wunderbarer Blog hier auch durchs neue Jahr mit Deinen grossartigen Texten begleiten...

Herzlichst und liebe Grüsse Rosanna

rheinland-blogger hat gesagt…

Lieber Hans-Peter,

Dir und deinen Lieben wünsche ich ein frohes Weihnachtsfest.

Gruß Dieter