Mittwoch, 4. Juli 2012


Ein stürmischer Augenblick

Schon den ganzen Tag blies ein stürmischer Wind. Die Wolken am Himmel schienen sich zu jagen, mal mächtig und dunkel, mal weißlich sich aufplusternd. Zwischendurch immer wieder scheue Blicke der Sonne, die jede noch kleine Lücke ausnutzt um uns einen milden Kuss zu verabreichen. Für mehr reichte es jeweils nicht. Ein wildes Spiel, das Bilder am Himmel projiziert, aber auch über die Hausdächer und an den Giebelwänden der Stadt ihr vergängliches Spiel mit Licht und Schatten zauberte. Die Luft draußen war sehr warm, eigentlich viel zu warm für den Mai. Der Wind und die spärlichen Sonnenstrahlen genügten aber, die Luft noch mehr aufzuheizen. Das offene Fenster in meinem kleinen Büro schlug ab und an, denn der freche Wind trieb auch sein Spiel mit ihm, ja er getraute sich sogar, und dies ungebeten, in mein Kämmerchen einzutreten, um dann ganz verschämt und mit Geheul durch den Türspalt sich ins Haus zu verlieren.

Im nahe gelegenen Gymnasium schien gerade Pause zu sein, eine Schar übermütige Mädchen stürmte dem Wind gleich den Münsterberg hinunter. Sie scheinen sich zu necken, lachten und schrien und verloren sich rasch in der Stadt. Zurück blieben nur das Geräusch des Windes, sein Geheul und die Freude, dass ich bald mal Feierabend machen konnte, umso mehr dieser Arbeitstag dem stürmischen Aprilwetter im Mai glich.

Meinen Kopf nach vorne geneigt, den Hut streng ins Gesicht gezogen, versuchte ich den Windböen zu trotzen und war dann sehr froh, endlich im Tram sitzen zu können, ohne dass ich mich ständig um meinen Hut bangen musste. Denn der Wind versuchte tatsächlich, mir diesen vom Kopf zu reißen, nur, ich war schneller und konnte ihn jeweils gerade noch festhalten.

Das Tram war an diesem späten Dienstagnachmittag recht gut besetzt. Das war gut so, denn so war es mir möglich Fahrgäste zu beobachten und zu studieren. Menschen unterschiedlicher Herkunft steigen aus, neue stetigen wieder zu. Ein beständiges Kommen und Gehen, genau so wie der Wind draußen. Schwatzend, lesend oder einfach nur aus den Festern schauend werden all die Passagiere durch die Stadt gefahren, von Haltestelle zu Haltestelle, von der einen Seite der Stadt zur anderen.

Sehr rasch fiel mir schräg gegenüber ein recht hübsches Mädchen auf, das ganz in sich vertieft mit ihrem Handy spielte und mit gekonnter Präzision und Geschwindigkeit SMS einzutippen schien. Immer wieder kurz unterbrechend schaute sie zum Fenster hinaus, träumend und in Gedanken verloren, ja, genau so sah es aus. Jede neu ankommende Nachricht trieb ihr immer wieder eine zarte Röte über ihre jugendlichen Wangen, brachten ihre schönen braunen Augen zum leuchten. Ab und zu huschte ein lächeln über ihr Gesicht, das mich an das Schattenspiel der Wolken auf den Dächern und Giebelwänden erinnerte. Die Aufregung in ihr schien sich ins Unermessliche zu steigern. Ich verlor das Gefühl für die Zeit wie auch für die Tramstationen, unablässig beobachtete ich dieses Mädchen.

Plötzlich schien sie die Geduld mit diesem Schreibspiel verloren zu haben, tippte hastig etwas ein und führte ihr Handy an ihr linkes Ohr: „hey du, ich bin jetzt an der Mustermesse.... ja ich hab dich auch sehr lieb... “, wieder schoss ihr diese zarte Röte ins Gesicht, machte dieses Mädchen noch hübscher dadurch, noch schöner „wo bist du?... am Bad. Bahnhof?... jetzt bin ich an der Gewerbeschule vorbei... ja steige da aus... ja, ich bin auch gleich dort“. Beim einfahren in die Haltestelle schaute ich gespannt zum Fenster hinaus, - ob ich wohl ihren Schatz erkennen kann im Gewimmel der vielen wartenden Fahrgäste? -.

Inzwischen hat sich das Mädchen an die Türe gestellt, schaute nach draußen in die Menge, die eine Hand an die Scheibe gelegt, mit der anderen Hand hielt sie sich an der Haltestange fest und bewegte ihren Kopf nahe der Fensterscheibe beständig hin und her. Erleichterung schien ihren Körper zu durchströmen, sie winkte kurz und heftig, tänzelte vor Aufregung wie ein Zirkuspferdchen. Ja, jetzt sah ich ihn auch, er winkte wie wild zurück, warf ihr Kusshände zu. Ein ebenso schöner Jüngling, ja, passt wunderbar zu diesem hübschen Mädchen. Die Türe war noch nicht ganz offen, schon stürmte das Mädchen wie ein Wirbelwind aus dem Tram in die Arme ihres Freundes, ja, ihr Freund musste es sein, denn so wie die beiden sich nun küssten und umarmten, ja, stürmischer ging es wirklich nicht.

© Hans-Peter Zürcher  

5 Kommentare:

Wille hat gesagt…

Dieses mit der neuen teknik ist sehr intressant. Und ich muss sagen, die neue teknik hilft uns wirklich viel im Alttag,tagtäglich. Genau so wie du es dort beschriebst. Bei jungen menschen ist es schon selbstverständig - doch in meinem alter 74, nimnt es Zeit sich darann zugewöhnen und vorallem zu lernen. Es geht alles so schnell.Aber ich mag es!

Arija hat gesagt…

Das erweckt so schöne Jugenderinnerungen . . . ohne Telefon natürlich.
Ich hoffe du hast einen leuchtenden Sommer, hier ist es kalt und der Frost trocknet den Boden aus und knabbert an den hübsch blühenden Primeln.

Rosanna Maisch hat gesagt…

Wow, was für eine wunderbare Erzählung, lieber Hans-Peter !! Ich bin sehr beeindruckt über deinen Schreibstil..man kann sich richtig hinein begeben..
sooo schöön !!

Herzlichst, Rosanna

Jean hat gesagt…

Une pie ? Un merle ?
Nous habitons à la& campagne , de nombreux oiseaux viennent manger les graines que nous leur donnons en hiver .

Karin Lissi hat gesagt…

Lieber Hans-Peter,
eine bezaubernde Geschichte aus dem täglichen Leben von Beobachtungen mit gefühlvollen Worten sehr schön verpackt, danke für diesen Genuß, sende Dir heute einen besonders lieben Gruß, Karin Lissi